G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie / ... / B.Kant
γ) Kant kommt dann auch auf die Idee Gottes. Die dritte Idee ist das Wesen der Wesen; die übrigen Ideen setzten sie voraus. Das ist das Ideal der Vernunft, der Inbegriff aller Möglichkeit. Er sagt, Gott ist das allerrealste Wesen, die Wolffische Definition; da handelt es sich denn darum, zu beweisen, daß Gott nicht bloß Gedanken ist, sondern daß er ist, Wirklichkeit, Sein hat. Dies nennt er nun das Ideal, zum Unterschied von der Idee; es ist die Idee als seiend. So nennen wir in der Kunst Ideal die Idee, die realisiert ist auf sinnliche Weise.34)
Hier betrachtet Kant den Beweis vom Dasein Gottes, fragt, ob diesem Ideal Realität verschafft werden könne. Der ontologische Beweis geht vom absoluten Begriffe aus, schließt aus dem Begriff auf das Sein; es wird Übergang zum Sein gemacht35) : so bei Anselm, Descartes, Spinoza; alle nehmen Einheit des Seins und Denkens an. Kant sagt aber: diesem Ideal der Vernunft kann ebensowenig Realität verschafft werden; es gibt keinen Übergang von dem Begriff in das Sein, aus dem Begriff kann das Sein nicht abgeleitet werden; "Sein ist kein reales Prädikat" wie ein anderes, "ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könnte ... . Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr als hundert mögliche", sind derselbe Inhalt, d. h. der Begriff; sie sind auch hundert. Das eine ist der Begriff (Vorstellung), das andere der Gegenstand. Sein ist nicht eine neue Bestimmung des Begriffs, die hinzukommt; sonst enthielte mein Begriff von hundert wirklichen Talern etwas anderes als wirkliche hundert Taler. Allein der Gegenstand ist, als wirklicher, nicht bloß in meinem Begriffe enthalten; oder zu meinem Begriffe kommen die wirklichen hundert Taler synthetisch hinzu. - Aus dem Begriff kann also nicht auf das Sein geschlossen werden, weil das Sein nicht im Begriffe liegt, sondern zum Begriffe hinzukommt. 'Wir müssen aus dem Begriff herausgehen, um zur Existenz zu gelangen. Für Objekte des reinen Denkens ist kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen, weil es a priori erkannt werden müßte; unser Bewußtsein aller Existenz aber gehört ganz und gar zur Erfahrung.'36) D. h. gerade jene Synthese des Begriffs und des Seins oder die Existenz zu begreifen, d. h. sie als Begriff zu setzen, dazu kommt Kant nicht. Existenz bleibt ihm ein schlechthin Anderes als ein Begriff. Der Inhalt ist derselbige im Existierenden und im Begriffe. Da das Sein nicht im Begriff liegt, so ist der Versuch, es aus ihm abzuleiten, nichtig.
Allerdings liegt nicht positiv im Begriff die Bestimmung des Seins; er ist ein Anderes als Objektivität, Realität. Das Andere liegt nicht fertig in ihm; und bleiben wir bei dem Begriff stehen, so bleiben wir beim Sein als dem Anderen des Begriffs stehen. Wir haben die Vorstellung und eben nicht das Sein; es wird an der Trennung beider festgehalten. Daß hundert mögliche Taler eingebildet etwas anderes sind als hundert wirkliche, dies ist ein so populärer Gedanke, daß nichts so gute Aufnahme gefunden hat als dies, daß aus dem Begriff nicht zum Sein übergegangen werden könnte; wenn ich mir hundert Taler einbilde, so habe ich sie noch nicht. Ebenso populär kann man sagen: das Einbilden muß man bleiben lassen.
α) Es ist eine bloße Vorstellung, d. h. das bloß Eingebildete ist unwahr; die hundert eingebildeten Taler sind und bleiben eingebildete. Also bei ihnen bleiben, ist ungesunder Menschenverstand, er taugt nichts; und dies ist ein eitler Mensch, der sich mit solchen Einbildungen und Wünschen herumtreibt. Hat man soviel Mut, hundert Taler zu haben, so hat man sie nur als wirkliche. Will man hundert Taler besitzen, so muß man Hand ans Werk legen, um sie in Besitz zu bekommen; d. h. man muß über die Einbildung hinausgehen, nicht bei ihr stehenbleiben. Dieses Subjektive ist nicht das Letzte, Absolute; das Wahre ist das, was nicht bloß ein Subjektives ist. Besitze ich hundert Taler, so habe ich sie im Besitz und stelle sie mir auch zugleich vor. Nach der Kantischen Vorstellung wird bei dem Unterschiede stehengeblieben, der Dualismus ist das Letzte; jede Seite für sich gilt als etwas Absolutes. Dies ist das Schlechte, was hier das Absolute und Letzte sein soll. Dagegen ist der gesunde Menschenverstand gerichtet; jedes gemeine Bewußtsein ist darüber hinaus, jede Handlung will eine Vorstellung (Subjektives) aufheben und zu einem Objektiven machen. So töricht ist kein Mensch als jene Philosophie; wenn ihn hungert, so stellt er sich nicht Speisen vor, sondern macht, daß er satt wird. Alle Tätigkeit ist Vorstellung, die noch nicht ist, aber als subjektiv aufgehoben wird. Auch die vorgestellten hundert Taler werden zu wirklichen und die wirklichen zu vorgestellten, - durch äußere Umstände; das ist oft Erfahrung, dies ist ihr Schicksal; es hängt von ganz äußerlichen Bedingungen ab, ob hundert Taler mein Eigentum werden oder nicht.
β) Allerdings, die Vorstellung tut's nicht, wenn ich hartnäckig darin steckenbleibe; ich kann mir einbilden, was ich will, darum ist es nicht. Es kommt nur darauf an, was ich mir vorstelle: ob ich das Subjektive und das Sein denke oder begreife; dann gehen sie über. Descartes behauptet ausdrücklich nur beim Begriffe Gottes jene Einheit (eben das ist Gott) und spricht von keinen hundert Talern; sie sind nicht eine Existenz, die Begriff an ihr selbst ist. Eben absolut hebt sich jener Gegensatz auf, d. h. das Endliche vergeht; er gilt nur in der Philosophie der Endlichkeit. Denken, Begriff ist notwendig dies, daß er nicht subjektiv bleibt, sondern dies Subjektive baß aufhebt und sich als objektiv zeigt. Wenn die Existenz nicht begriffen wird, so ist das das begrifflose, sinnliche Wahrgenommene; und das Begrifflose ist allerdings kein Begriff, - so Empfinden, in die Hand Nehmen. Solche Existenz hat freilich das Absolute, das Wesen nicht; oder solche Existenz hat keine Wahrheit, sie ist nur verschwindendes Moment. Dies Leeres-Stroh-Dreschen mit dem leeren, ganz kornlosen Stroh der gewöhnlichen Logik heißt Philosophieren. Es ist wie mit Isaschar, dem beinernen Esel, der nicht von der Stelle zu bringen ist.37) Wir taugen eben einmal nicht, und weil wir nichts taugen, so taugen wir eben nichts und wollen nichts taugen. Es ist eine sehr falsche christliche Demut und Bescheidenheit, durch seine Jämmerlichkeit vortrefflich sein, - das Erkennen seiner Nichtigkeit ein innerer Hochmut und Selbstgefälligkeit. Aber man muß zur Ehre wahrer Demut nicht in seiner Erbärmlichkeit stehenbleiben, sondern sich erheben über sie durch Ergreifung des Göttlichen.
Die Bestimmung, an der Kant festhält, ist die, daß aus dem Begriff nicht das Sein herausgeklaubt werden kann. Hiervon ist die Folge, daß die Vernunft es ist, die Gedanken des Unendlichen, Unbestimmten zu haben, aber daß von ihrer Idee getrennt ist die Bestimmung überhaupt und näher die Bestimmung, die Sein heißt. Die Ideen der Vernunft können nicht aus der Erfahrung bewiesen, betätigt werden, ihre Ideen erhalten aus der Erfahrung keine Beglaubigung; werden sie durch Kategorien bestimmt, so entstehen Widersprüche. Soll die Idee überhaupt nur als seiend bestimmt werden, so ist die Idee nur der Begriff; und davon ist immer unterschieden das Sein des Existierenden. Dies in Ansehung der Verstandeserkenntnisse höchst wichtige Resultat führt aber Kant in Ansehung der Vernunft zu weiter nichts, als daß diese für sich nichts als die formale Einheit zur methodischen Systematisierung der Verstandeserkenntnisse habe. Das ganz abstrakte Denken, die reine Identität mit sich wird festgehalten. Es wird gesagt, der Verstand kann nur Ordnung in den Dingen hervorbringen, die nichts an und für sich, nur subjektiv ist. So bleibt der Vernunft nichts als die Form ihrer Identität, Einheit; und diese reicht zu nichts, als die mannigfaltigen Verstandesgesetze und Verstandesverhältnisse zu systematisieren. Der Verstand findet Klassen, Arten, Gesetze, Gattungen; und diese ordnet dann die Vernunft, sucht sie in Einheit zu bringen. - In der Kritik der reinen Vernunft sehen wir Beschreibung der Stufen: Ich als Vernunft, Vorstellung, und draußen die Dinge; beide sind schlechthin Andere gegeneinander, und das ist der letzte Standpunkt. Das Tier bleibt nicht auf diesem Standpunkt stehen, bringt praktisch die Einheit hervor. Dies ist die theoretische Vernunft bei Kant.
Dies ist nun das Apriorische der Kantischen Philosophie, das Bestimmtsein, der Unterschied der Vernunft an sich selbst. Zur Bestimmtheit der Einzelheit bringt sie es nicht.
Noch wäre der positiven Philosophie oder Metaphysik zu erwähnen, die Kant a priori über das gegenständliche Wesen aufstellt, den Inhalt des Gegenstands der Erfahrung, die Natur, - seine Naturphilosophie. Allein dies ist teils an Inhalt etwas ganz Dürftiges, enthaltend einige allgemeine Qualitäten und Begriffe der Materie, und in Ansehung des Wissenschaftlichen oder Apriorischen, wie es Kant nennt, etwas ebenso durchaus Unbefriedigendes. Denn daß die Materie Bewegung habe, ferner Anziehungs- und Repulsionskraft38)) usf., alle diese Begriffe setzt er voraus, statt ihre Notwendigkeit aufzuzeigen. - Es ist der Anfangsgründe der Naturwissenschaft großes Verdienst, für einen Anfang einer Naturphilosophie darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß die Physik Gedankenbestimmungen ohne deren weitere Untersuchung gebraucht, welche die wesentlichen Grundlagen ihrer Gegenstände ausmachen. Z. B. Dichtigkeit wurde für ungleiche Menge (Quantum) im Raume angesehen; stattdessen behauptete sie Kant als einen Grad der Raumerfüllung, Energie, Intensität der Aktion. Er verlangt Konstruktion der Materie aus Kräften, Tätigkeiten, Energien, nicht Atomen.39) Schelling steckt ganz darin. Es ist Aufzeigen der Metaphysik, der allgemeinen Begriffe von der Natur; dies ist sehr eingeschränkt, auf Materie und Bewegung. Es ist Versuch zu denken, d. h. die Gedankenbestimmungen aufzuzeigen, deren Produkt solche Vorstellungen wie Materie seien. Er hat die Grundbegriffe und Grundprinzipien dieser Wissenschaft zu bestimmen versucht und zu einer sogenannten dynamischen Naturlehre die Veranlassung gegeben.
Die Religion innerhalb der bloßen Vernunft ist auch Aufzeigen der Glaubenslehren als Seiten der Vernunft, wie in der Natur. So hat Kant in der positiven Dogmatik der Religion, mit welcher die Aufklärung (Ausklärung) fertiggeworden war, an Vernunftideen erinnert: welche vernünftige (und zunächst moralische) Bedeutung das, was man Dogmen der Religion heißt, habe, - also Erbsünde40) . Er ist viel vernünftiger als die Ausklärung, die sich schämt, davon zu sprechen. - Dies sind die Hauptbestimmungen in Rücksicht des Theoretischen in der Kantischen Philosophie.
34) Kritik der reinen Vernunft, S. 441-452 [B 594-611]
35 Kritik der reinen Vernunft, S. 458-462 [B 620-630]
36) Kritik der reinen Vernunft, S. 462-466 [B 626 ff.]
37) 1. Moses 49, 14
38) Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (3. Aufl., Leipzig 1800), S. 1, 27 [A 1. 34 f.]
39) Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (3. Aufl., Leipzig 1800), S. 65-68 [A 81 ff.]
40) Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (2. Ausgabe, Königsberg 1794), S. [B] 20-48
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