Worauf sich das Bekenntnis der christlichen Religion gründet
Wir würden sagen (a): Ich habe Lust abzuscheiden, und bei Jesu Christo zu sein.
Die Stärke des Platonischen Gespräches von der Unsterblichkeit der Seelen trieb einige seiner Zuhörer zum Tode an, damit sie desto geschwinder der Hoffnung, die er ihnen machte, teilhaftig werden möchten. Alles dieses ist ein sehr deutliches Zeichen, dass wir unsere Religion bloß nach unserer Art und mit unsern Händen, und nicht anders annehmen, als die andern Religionen ergriffen werden. Wir befinden uns in einem Lande, wo sie eingeführt ist; oder sehen auf ihr Altertum, oder auf das Ansehen der Menschen die sie unterstützet haben; oder fürchten uns für denen den Ungläubigen gedrohten Strafen; oder gehen ihren Verheissungen nach. Diese Betrachtungen müssen zwar bei unserem Glauben, aber doch nur als Nebengründe zu Hilfe gezogen werden: dieses sind bloß menschliche Verbindungen. Ein anderes Land, andere Zeugen, ähnliche Verheissungen und Drohungen, könnten uns durch eben den Weg einen ganz widrigen Glauben beibringen.
Wir sind mit eben dem Rechte Christen, mit welchem wir Gasconier oder Deutsche sind. Das, was Platon sagte, dass wenig Leute in der Gottesläugnung so hartnäckicht wären, dass sie nicht eine augenscheinliche Gefahr wieder zur Erkenntnis der göttlichen Macht brächte, findet bei einem wahren Christen gar nicht statt. Nur sterbliche und menschliche Religionen werden durch eine menschliche Anführung angenommen. Was für einen Glauben können die Feigheit und Schwäche des Herzens in uns pflanzen und gründen? Ein artiger Glaube, der das, was er glaubt, nur deswegen glaubet, weil er das Herz nicht hat dasselbe nicht zu glauben. Kann denn eine fehlerhafte Leidenschaft, dergleichen die Unbeständigkeit und das Erschrecken sind, eine ordentliche Wirkung in unserer Seele hervor bringen? Sie behaupten, sagt Platon, (b) aus Vernunftgründen, dass dasjenige, was man von der Hölle und den zukünftigen Strafen erzählt, erdichtet sei: allein, wenn sich die Gelegenheit dasselbe zu erfahren zeigt, und wenn sie das Alter, oder die Krankheiten näher zu ihrem Tode führen, erfüllet sie die Furcht vor dem Tode durch das Schrecken über ihren künftigen Zustand mit einem neuen Glauben. Und weil dergleichen Vorstellungen die Gemüter furchtsam machen: (c) so verbietet er in seinen Gesetzen dergleichen Drohungen zu brauchen, oder jemand zu bereden, dass dem Menschen von den Göttern ein Leid widerfahren könne, es geschähe dann zu seinem größten Nutzen, und so, dass es ihm gleichsam zu einer Arznei dienet. Man erzählt vom Bion, dass er Theodors atheistische Meinungen eingesogen, und lange Zeit gottesfürchtige Leute verlacht habe; dass er aber, als ihn der Tod überfallen, höchst abergläubisch (d) geworden sei: gerade, als wenn sich die Götter (e), nachdem sie Bion brauchte, abschaffen, und wieder annehmen ließen. Platon und diese Beispiele zeigen, dass wir entweder durch die Vernunft, oder mit Gewalt, einen Gott zu glauben gezwungen werden. Da die Gottesläugnung in einem Satze besteht, der nicht nur widernatürlich und ungeheuer, sondern auch schwer und dem menschlichen Gemüte, so frech und unordentlich es auch immer sein mag, nicht leicht beizubringen ist: so haben sich Leute genug gefunden, die aus Eitelkeit und Übermute Gottesläugner haben vorstellen wollen, damit es das Ansehen hätte, als ob sie ungemeine Meinungen begreifen könnten, und die ganze Welt zu bessern geschickt wären. Indessen, wenn sie gleich närrisch genug sind, dass sie dieselbe ihrem Gewissen eingeprägt haben, so sind sie doch nicht stark genug. Sie werden dennoch ihre Hände gefalten gen Himmel heben, wenn sie einen guten Stoß mit dem Degen in die Brust bekommen. Sie werden ganz gewiß sich anders besinnen, und ganz bescheiden dem gemeinen Glauben und den gemeinen Beispielen folgen, wenn die Furcht oder die Krankheit die ausschweifende Hitze eines flatterhaften Gemüts niedergeschlagen und gedämpfet haben wird. Anders verhält es sich mit einem ernstlich überlegten Lehrsatze: anders mit diesen leichtsinnigen Einfällen, die ihren Ursprung von der Unordnung eines ausgelassenen Gemüts haben, und in der Einbildungskraft unordentlich herum schwimmen. Elende und rasende Menschen, die sich ärger zu sein bemühen, als sie sein können!
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(a) Philipp. Cap. I, v. 23.
(b) Hoti epeidan tis engys ê tou oiesthai teleutêsein, - - - eiserchetai autô deos kai phrontis peri hôn emprosthen ouk eisêei. Oute gar legomenoi mythoi peri tôn en hadou, hôs tôn enthade adikêsanta dei ekdidonai dikên, katagelomenoi teôs, tote dê strephousin autou tên psychên mê alêtheis ôsi kai autos, êtoi hypo tês tou gêrôs astheneias, ê kai hôsper êdê engyterô ôn tôn ekei, mallon ti kathora auta. De Republica. L. I. gegen das Ende p. 330. D. Herr Barbeyrac hat mir diese Stelle gezeigt.
(c) Herr Barbeyrac hat mir ferner angezeigt, dass dieses die Folge aus demjenigen ist, was Plato gegen das Ende des andern und zu Anfange des dritten Buches De Republica sagt.
(d) Diogenes Laertius in Vita Bionis. L. IV. Segm. 4.
(e) Diese so richtige und so natürliche Betrachtung ist vom Diogenes Laerz selbst. Eb. das. Segm. 55. Da er sonst nicht viel eigenes hat: so würde es grausam sein, wenn man ihm das wenige, das er hat, rauben wollte.
Michel de Montaigne Essais II Versuche, Zweites Buch (1580) >>>
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