“Dann gibt es aber noch eine eigentliche Sekte, die der Taosse, deren Anhänger nicht Mandarine und an die Staatsreligion angeschlossen, auch nicht Buddhisten, nicht lamaischer Religion sind. Der Urheber dieser Philosophie und der damit eng verbundenen Lebensweise ist Lao-tse (geboren am Ende des 7. Jahrhunderts vor Christus), älter als Konfuzius, da dieser mehr politische Weise zu ihm reiste, um sich bei ihm Rats zu erholen. Das Buch des Lao-tse, Tao-te-king, wird zwar nicht zu den eigentlichen Kings gerechnet, hat auch nicht die Autorität dieser; es ist aber doch ein Hauptwerk bei den Tao-sse (Anhänger der Vernunft; ihre Lebensweise, Tao-Tao: Richtung, Gesetz der Vernunft).
Ihr Leben widmen sie dem Studium der Vernunft und versichern dann, daß derjenige, der die Vernunft in ihrem Grunde erkenne, die ganz allgemeine Wissenschaft, allgemeine Heilmittel und die Tugend besitze, daß er eine übernatürliche Gewalt erlangt habe, sich in den Himmel erheben, daß er fliegen könne und nicht sterbe.1)
Von Lao-tse selbst sagen seine Anhänger, er sei Buddha, der als Mensch immerfort existierende Gott geworden. Die Hauptschrift von ihm haben wir noch, und in Wien ist sie übersetzt worden; ich habe sie selbst da gesehen. Eine Hauptstelle ist besonders häufig ausgezogen:
"Ohne Namen ist Tao das Prinzip des Himmels und der Erde; mit dem Namen ist es die Mutter des Universums. Mit Leidenschaften betrachtet man sie nur in ihrem unvollkommenen Zustande; wer sie erkennen will, muß ohne Leidenschaft sein."
Abel Rémusat sagt, am besten würde sie sich im Griechischen ausdrücken lassen:
λογοσ . [Logos]
Aber was finden wir in diesem allem Belehrendes?
Die berühmte Stelle, die von den Älteren oft ausgezogen ist, ist diese: "Die Vernunft hat das Eine hervorgebracht; das Eine hat die Zwei hervorgebracht; und die Zwei hat die Drei hervorgebracht; und die Drei produziert die ganze Welt." (Anspielung auf die Dreieinigkeit hat man darin finden wollen.)
"Das Universum ruht auf dem dunkeln Prinzip; das Universum umfaßt das helle Prinzip" (oder auch: es wird von dem Äther umfaßt; so kann man es umkehren, da die chinesische Sprache keine Bezeichnung des Kasus hat, die Worte vielmehr bloß nebeneinanderstehen).2)
Eine andere Stelle : "Derjenige, den ihr betrachtet und den ihr nicht seht - er nennt sich I; und du hörst ihn und hörst ihn nicht - und er heißt Hi; du suchst ihn mit der Hand und erreichst ihn nicht - und sein Name ist Weï. Du gehst ihm entgegen und siehst sein Haupt nicht; du gehst hinter ihm und siehst seinen Rücken nicht."
Diese Unterschiede heißen "die Verkettung der Vernunft". Man hat natürlich bei der Anführung dieser Stelle an λογοσ und an den afrikanischen Königsnamen Juba erinnert, auch an Iovis. Dieses I-hi-weï oder I-H-W weiter bedeute einen absoluten Abgrund und das Nichts: das Höchste, das Letzte, das Ursprüngliche, das Erste, der Ursprung aller Dinge ist das Nichts, das Leere, das ganz Unbestimmte (das abstrakt Allgemeine); es wird auch Tao, die Vernunft, genannt.
Wenn die Griechen sagen, das Absolute ist das Eine, oder die Neueren, es ist das höchste Wesen, so sind auch hier alle Bestimmungen getilgt, und mit dem bloßen abstrakten Wesen hat man nichts als diese selbe Negation, nur affirmativ ausgesprochen. Ist das Philosophieren nun nicht weiter gekommen als zu solchen Ausdrücken, so steht es auf der ersten Stufe.”
1)M: Abel Rémusat, Mémoire sur la vie et les opinions de Lao-Tseu, Paris 1823, p. 18 sqq.; Extrait d'une lettre de M. Amiot, 16 Octobre 1787, de Peking (Mémoires conçernant les Chinois, T. XV, p. 208 sqq.)
2)M: Abel Rémusat, l. c., p. 31 sqq.; Lettre sur les caractères des Chinois (Mémoires conçernant les Chinois, T. I, p. 299 sqq.)
(G.W.F. Hegel - Vorlesungen über die Philosophie der Religion / ... / 1. Die chinesische Religion oder die Religion des Maßes - b. Die geschichtliche Existenz dieser Religion >>>)
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