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Sören Kierkegaard:
Über Abraham
aus "Furcht und Zittern" (1843)
STIMMUNG
Es war einmal ein Mann, der hatte als Kind jene schöne Erzählung gehört, wie Gott Abraham versuchte und wie er die Versuchung bestand, den Glauben bewahrte und wider Erwarten zum andern Male einen Sohn bekam. Als er älter wurde, las er dieselbe Erzählung mit noch größerer Bewunderung; denn das Leben hatte getrennt, was in der frommen Einfalt des Kindes vereint gewesen war. Je älter er wurde, um so öfter wandten sich seine Gedanken jener Erzählung zu, seine Begeisterung wurde stärker und stärker, und dennoch konnte er die Erzählung weniger und weniger verstehen. Zuletzt vergaß er darüber alles andere; seine Seele hatte nur den einen Wunsch, Abraham zu sehen, die eine Sehnsucht, Zeuge jener Begebenheit gewesen zu sein. Sein Verlangen stand nicht danach, die schönen Gegenden des Morgenlandes zu sehen, des gelobten Landes irdische Heiterkeit, jenes gottesfürchtige Ehepaar, dessen Alter Gott segnete, des betagten Patriarchen ehrwürdige Gestalt, die blühende Jugend des von Gott geschenkten Isaak - er hatte nichts dagegen, daß das gleiche auf einer unfruchtbaren Heide geschähe. Seine Begierde stand danach, auf jener dreitägigen Reise mit dabei zu sein, als Abraham mit der Sorge voran und mit Isaak an seiner Seite ritt. Sein Wunsch war, in jenem Augenblick zugegen zu sein, als Abraham seine Augen aufhob und von ferne den Berg Morija sah, in jenem Augenblick, als er die Esel zurückließ und allein mit Isaak auf den Berg stieg; denn das, was ihn beschäftigte, war nicht das kunstreiche Weben der Phantasie, sondern der Schauder des Gedankens.
Jener Mann war kein Denker(1), er fühlte keinen Drang danach, über den Glauben hinauszukommen; ihn dünkte, das Herrlichste müsse sein, im Gedächtnis als Vater des Glaubens fortzuleben, ein beneidenswertes Los, den Glauben zu besitzen, obgleich keiner davon wußte.
Jener Mann war kein gelehrter Exeget, er konnte kein Hebräisch, hätte er Hebräisch gekonnt, dann hätte er die Erzählung und Abraham vielleicht unschwer verstanden.
I
"Und Gott versuchte Abraham und sprach zu ihm, nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde."
Es war eines Morgens früh, Abraham stand zeitig auf, er ließ die Esel gürten, verließ sein Zelt, und Isaak mit ihm, aber, Sara schaute ihnen aus dem Fenster nach das Tal hinunter, bis sie sie nicht mehr sah. Sie ritten drei Tage lang schweigend, nicht einmal am Morgen des vierten Tages sagte Abraham ein Wort, aber er hob seine Augen auf und sah von ferne den Berg Morija. Er ließ die Knechte zurück und stieg allein mit Isaak an der Hand den Berg hinan.. Aber Abraham sagte zu sich selbst: "Ich will doch Isaak nicht verheimlichen, wohin dieser Gang ihn führt." Er blieb stehen, er legte seine Hand segnend auf Isaaks Haupt, und Isaak beugte sich, den Segen zu empfangen. Und Abrahams Angesicht war Väterlichkeit, sein Blick war mild, seine Worte mahnend. Aber Isaak konnte ihn nicht verstehen, seine Seele konnte sich nicht erheben; er umfaßte Abrahams Knie, er fiel ihm flehend zu Füßen, er bat für sein junges Leben, für seine schönen Hoffnungen, er erinnerte an die Freuden in Abrahams Haus, er erinnerte an die Sorge und die Einsamkeit. Da hob Abraham den Knaben auf und ging mit ihm an der Hand und seine Worte waren voll Trost und Ermahnung. Aber Isaak konnte ihn nicht verstehen. Er bestieg den Berg Morija, aber Isaak verstand ihn nicht. Da wandte er sich einen Augenblick von ihm ab, aber als Isaak zum andern Male Abrahams Angesicht erblickte, da war es verändert, sein Blick war wild, seine Gestalt war Schrecken. Er faßte Isaak bei der Brust, warf ihn zur Erde und sagte: "Dummer Knabe, glaubst du, ich sei dein Vater? Ich hänge Abgöttern an. Glaubst du, es sei Gottes Befehl? Nein, es ist meine Lust." Da zitterte Isaak und rief in seiner Angst: "Gott im Himmel, erbarme dich über mich, Abrahams Gott, erbarme dich über mich, habe ich keinen Vater auf Erden, dann sei du mein Vater!" Aber Abraham sagte still bei sich: "Herr im Himmel, ich danke dir: es ist doch besser, daß er glaubt, ich sei ein Unmensch, als daß er den Glauben an dich verlieren sollte."
Wenn das Kind entwöhnt werden soll, so schwärzt die Mutter ihre Brust, es wäre ja schade, sähe die Brust lieblich aus und das Kind dürfte sie nicht bekommen. Dann glaubt das Kind, die Brust habe sich verändert, aber die Mutter ist die gleiche, ihr Blick ist liebevoll und zärtlich wie immer. Wohl dem, der nicht entsetzlicherer Mittel bedurfte, um das Kind zu entwöhnen!
II
Es war eines Morgens früh, Abraham stand zeitig auf, er umarmte Sara, die Braut seines Alters, und Sara küßte Isaak, der die Schande von ihr genommen hatte, ihren Stolz, ihre Hoffnung für alle Geschlechter. So ritten sie schweigend ihres Wegs, und Abrahams Blick war auf die Erde geheftet, bis zum vierten Tage, da hob er die Augen auf und sah von ferne den Berg Morija, aber sein Blick wandte sich wieder der Erde zu. Schweigend legte er die Holzscheite zurecht, band Isaak, schweigend zückte er das Messer; da erblickte er den Widder, den Gott ausersehen hatte. Diesen opferte er und zog heimwärts. -
Von dem Tage an war Abraham alt, er konnte nicht vergessen, daß Gott solches von ihm gefordert hatte. Isaak gedieh wie vordem; Abrahams Augen aber waren verdunkelt, er sah die Freude nicht mehr.
Wenn das Kind groß geworden ist und entwöhnt werden soll, dann verbirgt die Mutter jungfräulich ihren Busen, dann hat das Kind keine Mutter mehr. Wohl dem Kind, das die Mutter nicht anders verloren hat!
III
Es war eines Morgens früh, Abraham stand zeitig auf; er küßte Sara, die junge Mutter, und Sara küßte Isaak, ihre Lust, ihre Freude für alle Zeiten. Und Abraham ritt gedankenvoll seines Wegs, er dachte an Hagar und den Sohn, den er in die Wüste hinausjagte. Er bestieg den Berg Morija, er zückte das Messer.
Es war an einem stillen Abend, da ritt Abraham allein aus, und er ritt zum Berge Morija; er warf sich auf sein Angesicht nieder, er bat Gott, ihm die Sünde zu vergeben, daß er Isaak hatte opfern wollen, daß der Vater seine Pflicht dem Sohn gegenüber vergessen hatte. Öfters ritt er seinen einsamen Weg, aber er fand keine Ruhe. Er konnte nicht begreifen, daß es eine Sünde war, wenn er Gott das Beste hatte opfern wollen, das er besaß, das, wofür er gerne selber viele Male das Leben gelassen hätte; und wenn es eine Sünde war, wenn er Isaak nicht so geliebt hätte, so konnte er nicht verstehen, daß diese vergeben werden konnte; denn welche Sünde war entsetzlicher?
Wenn das Kind entwöhnt werden soll, dann ist auch die Mutter nicht ohne Betrübnis, daß sie und das Kind mehr und mehr voneinander geschieden werden; daß ihr das Kind, das erst unter ihrem Herzen gelegen, doch später an ihrer Brust geruht hat, nicht mehr so nahe sein soll. Dann trauern sie gemeinsam jene kurze Trauer. Wohl dem, der das Kind so nahe behielte und nicht mehr zu trauern brauchte!
IV
Es war eines Morgens früh, in Abrahams Haus war alles zur Reise bereit. Er nahm von Sara Abschied, und Elieser, der treue Diener, begleitete ihn auf dem Wege, bis er wieder zurückkehrte. Sie ritten einträchtig zusammen, Abraham und Isaak, bis sie zum Berge Morija kamen. Abraham aber bereitete alles zum Opfer, ruhig und mild, aber indem er sich abwandte und das Messer zückte, sah Isaak, daß Abrahams Linke sich in Verzweiflung ballte, daß ein Zittern durch seinen Körper ging - aber Abraham zückte das Messer.
Dann kehrten sie wieder heim, und Sara eilte ihnen entgegen, aber Isaak hatte den Glauben verloren. In der Welt ist darüber niemals ein Wort verlautet, und lsaak hat nie zu einem Menschen darüber gesprochen, was er gesehen hatte, und Abraharn ahnte nicht, daß jemand es gesehen hatte.
Wenn das Kind entwöhnt werden soll, dann hat die Mutter jene kräftigere Nahrung zur Hand, auf daß das Kind nicht umkommen soll. Wohl dem, der jene kräftigere Nahrung zur Hand hat!
Derart und in mancherlei ähnlicher Weise dachte jener Mann, von dem wir sprechen, über diese Begebenheit. Jedesmal wenn er dann von einer Wanderung zum Berge Morija heimkehrte, sank er vor Müdigkeit zusammen, er faltete seine Hände und, sprach: "Keiner war doch so groß wie Abraham, wer ist imstande, ihn zu verstehen?"
LOBREDE AUF ABRAHAM
Falls ein Mensch nicht im Besitz eines ewigen Bewußtseins wäre, falls allem nur eine wild gärende Macht zugrunde läge, die sich in dunklen Leidenschaften windend alles hervorbrächte, was es an Großem gibt und was es an Unbedeutendem gibt, falls sich unter allem eine bodenlose Leere, niemals gesättigt, verbärge, was wäre das Leben dann anders als Verzweiflung? Falls es sich so verhielte, falls kein heiliges Band wäre, das die Menschheit zusammenknüpfte, falls ein Geschlecht nach dem anderen erstünde wie das Laub im Walde, falls ein Geschlecht das andere ablöste wie der Vogelsang im Walde, falls das Geschlecht durch die Welt zöge wie das Schiff durchs Meer zieht, das Wetter durch die Wüste, ein gedankenloses und fruchtloses Tun, falls ein ewiges Vergessen immer hungrig auf seine Beute lauerte und keine Macht wäre, stark genug, sie ihm zu entreißen - wie leer und trostlos wäre dann das Leben! Aber darum ist es nicht so, und wie Gott Mann und Frau erschaffen hat, so hat er den Helden und den Dichter oder Redner gebildet. Dieser kann nichts von dem tun, was jener tut, er kann den Helden nur bewundern, lieben, sich an ihm freuen. Doch auch er ist glücklich, nicht minder als der andere; denn der Held ist gleichsam sein besseres Wesen, in das er verliebt ist, froh darüber, daß er es doch nicht selber ist, daß seine Liebe Bewunderung sein kann. Er ist der Genius der Erinnerung, kann nichts tun, ohne an das zu erinnern, was getan ist, nichts tun, ohne zu bewundern, was getan ist; er nimmt nichts von seinem Eigenen, aber er ist neidisch auf das Anvertraute. Er folgt der Wahl seines Herzens, aber wenn er das Gesuchte gefunden hat, dann zieht er mit seinem Lied und mit seiner Rede vor jedermanns Tür, auf daß alle den Helden bewundern mögen wie er, stolz auf den Helden sein mögen, wie er es ist. Das ist sein Tun, sein demütiges Wirken, das ist sein treuer Dienst im Hause des Helden. Bleibt er solchermaßen seiner Liebe treu, streitet er Tag und Nacht mit den Ränken des Vergessens, die ihm den Helden ablisten wollen, dann hat er sein Wirken erfüllt, dann wird er mit dem Helden vereint, der ihn ebenso treulich geliebt hat, denn der Dichter ist gleichsam des Helden besseres Wesen, kraftlos zwar, wie eine Erinnerung es ist, aber auch verklärt, wie eine Erinnerung es ist. Darum soll keiner vergessen sein, der groß gewesen ist, und währt es auch einmal länger, nimmt die Wolke des Mißverständnisses den Helden auch einmal mit sich fort, sein Liebhaber kommt doch, und je mehr Zeit vergangen ist, desto getreuer hängt er ihm an.
Nein! Keiner soll vergessen werden, der in der Welt groß gewesen ist; aber ein jeder war groß in seiner Weise, und ein jeder im Verhältnis zur Größe dessen, das er geliebt hat. Denn wer sich selbst geliebt hat, wurde groß durch sich selbst, und wer andere Menschen geliebt hat, wurde groß durch seine Hingabe, aber wer Gott geliebt hat, wurde größer als alle. Ein jeder soll im Gedächtnis fortleben, aber ein jeder wurde groß im Verhältnis zu seiner Erwartung. Der eine wurde groß, indem er das Mögliche erwartete; ein anderer, indem er das Ewige . erwartete; aber wer das Unmögliche erwartet hat, wurde größer als alle. Ein jeder soll im Gedächtnis fortleben, aber ein jeder wurde groß je im Verhältnis zur Größe dessen, womit er gerungen hat. Denn wer mit der Welt gerungen hat, wurde groß, indem er die Welt überwand, und wer mit sich selbst gerungen, hat, wurde größer, indem er sich selbst überwand; aber wer mit Gott gerungen hat, wurde größer als alle. Solchermaßen ist in der Welt gerungen worden, Mann gegen Mann, einer gegen tausend, aber wer mit Gott gerungen hat, war größer als alle. Solchermaßen ist auf Erden gerungen worden: da war der, der alles durch seine Kraft überwand, und da war der, der Gott durch seine Ohnmacht überwand. Da war der, der auf sich selbst vertraute und alles gewann, da war der, der im Verlaß auf seine Stärke alles opferte, aber wer auf Gott vertraut hat, war größer als alle. Da war der, der groß war durch seine Kraft, und der, der groß war durch seine Weisheit, und der, der groß war durch seine Hoffnung, und der, der groß war durch seine Liebe, aber Abraham war größer als alle, groß durch jene Kraft, deren Stärke Ohnmacht ist, groß durch jene Weisheit, deren Geheimnis Torheit ist, groß durch jene Hoffnung, deren Form Wahnsinn ist, groß durch jene Liebe, die Haß gegen sich selber ist.
Vermöge des Glaubens verließ Abraham das Land seiner Väter und wurde zum Fremdling im Land der Verheißung. Er ließ eines zurück, nahm eines mit sich: er ließ seinen irdischen Verstand zurück und nahm den Glauben mit sich, sonst wäre er ja wohl nicht ausgewandert, sondern hätte gedacht, dies sei ja widersinnig. Vermöge des Glaubens war er ein Fremdling im Land der Verheißung, und da gab es nichts, das ihn an das Liebgewonnene erinnerte, sondern alles verlockte durch Neuheit seine Seele zu wehmütigem Sehnen. Und doch war er der Auserwählte Gottes, an dem der Herr Wohlgefallen hatte! Ja, wäre er ein Verworfener gewesen, aus Gottes Gnade verstoßen, dann hätte er es eher fassen können, jetzt war es ja wie ein Spott über ihn und über seinen Glauben. Da war in der Welt auch der, der aus dem Land seiner Väter verbannt lebte, das er liebte. Er ist nicht vergessen, auch nicht seine Klagelieder, wenn er in Wehmut das Verlorene suchte und fand. Von Abraham gibt es kein Klagelied. Es ist menschlich, zu klagen, menschlich, zu weinen mit dem Weinenden, aber größer ist, zu glauben, seliger, den Gläubigen zu betrachten.
Vermöge des Glaubens nahm Abraham die Verheißung entgegen, durch seinen Samen sollten alle Völker auf Erden gesegnet werden. Die Zeit rann dahin, die Möglichkeit war da, Abraham glaubte; die Zeit rann dahin, es ward widersinnig, Abraham glaubte. Da war in der Welt der, der auch eine Erwartung hegte. Die Zeit rann dahin, der Tag neigte sich, er war nicht schnöde genug, seine Erwartung vergessen zu haben, darum soll er auch nicht vergessen werden. Da betrübte er sich, und die Betrübnis trog ihn nicht, wie es das Leben getan hatte, sie tat alles für ihn, was sie vermochte, in der Süßigkeit der Betrübnis war seine enttäuschte Erwartung sein eigen. Es ist menschlich, zu trauern, es ist menschlich, mit dem Trauernden zu trauern, aber größer ist, zu glauben, seliger, den Gläubigen zu betrachten. Von Abraham besitzen, wir keinen Trauergesang. Er zählte nicht wehmütig die Tage, während die Zeit dahinrann, er betrachtete nicht Sara mit argwöhnischen Blicken, ob sie nicht alt werde, er hielt nicht den Lauf der Sonne auf, auf daß Sara nicht altern solle und mit ihr seine Erwartung, beschwichtigend sang er nicht Sara seine wehmütige Weise vor. Abraham wurde alt, Sara zum Gespött des Landes, und doch war er der Auserwählte Gottes und Erbe der Verheißung, durch seinen Samen sollten alle Völker der Erde gesegnet werden. Dann wäre es ja besser, er wäre nicht der Auserwählte Gottes? Was ist das, der Auserwählte Gottes zu sein? Heißt das, in der Jugend den Wunsch der Jugend verweigert zu bekommen, um ihn sich mit großer Beschwer im Alter erfüllen zu lassen? Aber Abraham glaubte und hielt an der Verheißung fest. Hätte Abraham geschwankt, dann hätte er sie dahingegeben. Er hätte zu Gott gesagt: "Dann ist es doch vielleicht nicht dein Wille, daß es geschehen soll, dann will ich meinen Wunsch fahren lassen; er war mein Einzigstes, er war meine Seligkeit. Meine Seele ist aufrichtig, ich hege keinen heimlichen Groll, weil du ihn mir versagt hast." Er würde nicht vergessen sein, er würde viele durch sein Beispiel erlöst haben, aber nicht der Vater des Glaubens geworden sein; denn groß ist es, seinen Wunsch fahren zu lassen, aber größer ist, daran festzuhalten, nachdem man ihn hat fahren lassen; groß ist, das Ewige zu ergreifen, aber größer ist, am Zeitlichen festzuhalten, nachdem man es hat fahren lassen. - Dann kam die Fülle der Zeit. -Hätte Abraham nicht geglaubt, dann wäre wohl Sara vor Kummer gestorben, und Abraham, in Gram abgestumpft, hätte die Erfüllung nicht verstanden, sondern darüber gelächelt wie über einen Traum der Jugend. Aber Abraham glaubte, deshalb war er jung; denn wer immer das Beste erhofft, wird alt, vom Leben betrogen, und wer immer auf das Ärgste vorbereitet ist, wird frühzeitig alt, aber wer glaubt, bewahrt eine ewige Jugend. Gelobt sei darum jene Erzählung! Denn Sara, obgleich betagt, war jung genug, nach der Lust der Mutter zu verlangen, und Abraham, obgleich ergraut, war jung genug, sich Vatersein zu wünschen. Äußerlich gesehen liegt das Wunderbare darin, daß es nach ihrer Erwartung geschah, in tieferem Verstande liegt das Wunder des Glaubens darin, daß Abraham und Sara jung genug waren, zu wünschen, und daß der Glaube ihren Wunsch und damit ihre Jugend bewahrt hatte. Er empfing die Erfüllung der Verheißung, er empfing sie gläubig, und dies geschah nach der Verheißung und nach dem Glauben; denn Moses schlug mit seinem Stab an den Felsen, aber er glaubte nicht.
Da war Freude in Abrahams Haus, als Sara am Tag der goldenen Hochzeit Hochzeit hielt.
Jedoch so sollte es nicht bleiben; noch einmal sollte Abraham versucht werden. Er hatte mit jener schlauen Macht gekämpft, die alles erfindet, mit jenem wachsamen Feind, der niemals schlummert, mit jenem alten Mann, der alles überlebt - er hatte mit der Zeit gekämpft und den Glauben bewahrt. Nun ward alle Schrecknis des Streits in einen Augenblick gesammelt. "Und Gott versuchte Abraham und sprach zu ihm, nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde."
So war nun alles verloren, schrecklicher, als wenn es nie geschehen wäre! So trieb nun der Herr nur seinen Spott mit Abraham! Wunderbarlich hatte er das Widersinnige wirklich gemacht, nun wollte er es wiederum zunichte gemacht sehen. Dies war ja eine Torheit, aber Abraham lachte nicht darüber wie Sara, als die Verheißung verkündet wurde. Alles war verloren! 70 Jahre treuer Erwartung, die kurze Freude, als der Glaube sich erfüllte. Wer ist denn der, der dem Greis den Stab entreißt, wer ist der, der fordert, daß er ihn selbst zerbrechen solle! Wer ist der, der eines Menschen grauen Haaren den Trost benimmt, wer ist der, der fordert, daß er es selber tun solle! Gibt es kein Mitleid mit dem ehrwürdigen Greise, keines mit dem unschuldigen Kind? Und doch war Abraham der Auserwählte Gottes, und der Herr war es, der die Prüfung auferlegte. Alles sollte nun verloren sein! Das herrliche Gedenken des Geschlechts, die Verheißung an Abrahams Samen, dies war nur ein Einfall, ein flüchtiger Gedanke, den der Herr gehabt hatte, den Abraham jetzt austilgen sollte. Jener herrliche Schatz, der ebenso alt war wie der Glaube in Abrahams Herzen, viele, viele Jahre älter als Isaak, die Frucht von Abrahams Leben, durch Gebete geheiligt, in Kämpfen gereift - der Segen auf Abrahams Lippen, diese Frucht sollte nun zur Unzeit ausgerissen und bedeutungslos werden; denn welche Bedeutung hatte sie, wenn Isaak geopfert werden sollte! Jene wehmütige, aber dennoch selige Stunde, da Abraham von allem Abschied nehmen sollte, was ihm teuer war, da er noch einmal sein ehrwürdiges Haupt erheben sollte, da sein Angesicht strahlen sollte wie das des Herrn, da er seine ganze Seele in einen Segen sammeln sollte, der vermögend war, Isaak für alle Tage gesegnet zu machen - diese Stunde sollte nicht kommen! Denn Abraham sollte zwar von Isaak Abschied nehmen, aber solchermaßen, daß er selber zurückbleiben sollte; der Tod sollte sie trennen, aber solchermaßen, daß Isaak seine Beute wurde. Der alte Mann sollte nicht, im Tode froh, segnend seine Hand auf Isaak legen, sondern des Lebens müde gewaltsam Hand an Isaak legen. Und es war Gott, der ihn versuchte. Ja, wehe! Wehe dem Boten, der mit einer solchen Botschaft vor Abraham erschienen wäre! Wer hätte wagen mögen, dieser Trauerbote zu sein. Aber es war Gott, der Abraham versuchte.
Abraham jedoch glaubte und glaubte für dieses Leben. Ja, hätte sein Glaube bloß einem Kommenden gegolten, dann hätte er wohl leichter alles von sich geworfen, um aus dieser Welt hinwegzueilen, der er nicht angehörte. Aber Abrahams Glaube war nicht von dieser Art, wenn es einen derartigen gibt; denn eigentlich ist es nicht Glaube, sondern des Glaubens fernste Möglichkeit, die zu äußerst im Gesichtskreis ihren Gegenstand erahnt, jedoch geschieden davon durch einen klaffenden Abgrund, worinnen die Verzweiflung ihr Spiel treibt.
Aber Abraham glaubte gerade für dieses Leben, daß er im Lande alt werden solle, geehrt im Volke, gesegnet im Geschlecht, unvergeßlich in Isaak, seinem Teuersten im Leben, den er mit einer Liebe umfaßte, für die nur ein armseliger Ausdruck ist, daß er getreulich die Pflicht des Vaters erfüllte, den Sohn zu lieben, wie es ja auch in der Verheißung mit verlautet: den Sohn, den du liebhast. Jakob hatte 12 Söhne und einen, den er liebte, Abraham hatte nur einen, den er liebhatte.
Aber Abraham glaubte und zweifelte nicht, er glaubte das Widersinnige. Hätte Abraham gezweifelt - dann würde er etwas anderes getan haben, etwas Großes und Herrliches; denn wie könnte Abraham etwas anderes tun als, was groß und herrlich ist! Er wäre zum Berge Morija hinausgezogen, er hätte Brennholz gespalten, den Scheiterhaufen angezündet, das Messer gezückt - er hätte zu Gott gerufen: "Verschmähe nicht dieses Opfer, es ist nicht das Beste, das ich besitze, das weiß ich wohl; denn was ist ein alter Mann gegenüber dem Kind der Verheißung, aber es ist das Beste, das ich dir geben kann. Laß es Isaak niemals erfahren, damit er sich mit seiner Jugend trösten kann." Er hätte das Messer in seine eigene Brust gestoßen. Er wäre in der Welt bewundert worden, und sein Name würde nicht vergessen sein; aber eines ist, bewundert werden, ein anderes, zum Leitstern werden, der den Geängstigten erlöst.
Aber Abraham glaubte. Er bat nicht für sich, daß er den Herrn bewegen möge. Nur als die gerechte Strafe über Sodom und Gomorra erging, da trat Abraham mit seinen Bitten hervor.
Wir lesen in jenen heiligen Schriften: "Und Gott versuchte Abraham, und sprach zu ihm: Abraham, Abraham, wo bist du? Und Abraham antwortete: hier bin ich." Du, an den sich meine Worte richten, war es solchermaßen der Fall mit dir? Wenn du ganz von fern die schweren Schickungen sich nähern sahst, sagtest du da nicht zu den Bergen, bedecket mich, zu den Hügeln, fallet über mich? Oder warst du stärker, bewegte sich nicht dennoch der Fuß langsam seines Weges, war es nicht, als sehne er sich in die alte Spur zurück? Wenn nach dir gerufen wurde, antwortetest du dann oder antwortetest du nicht, vielleicht leise, und flüsternd? Solchermaßen nicht Abraham, froh, unbefangen, voll Vertrauen, laut antwortete er: hier bin ich. Wir lesen weiter: "Und Abraham stand des Morgens früh auf." Als gelte es ein Fest, so beeilte er sich, und des Morgens früh war er an der verabredeten Stelle, auf dem Berge Morija. Er sagte nichts zu Sara, nichts zu Elieser, wer hätte ihn auch verstehen können, hatte ihm die Versuchung nicht kraft ihres Wesens das Gelübde des Schweigens auferlegt? "Er spaltete das Brennholz, er band Isaak, er zündete den Scheiterhaufen an, er zückte das Messer." Mein Zuhörer! Es hat manch einen Vater gegeben, der in seinem Kind zu verlieren glaubte, was ihm das Teuerste auf Erden war, der jeder Zukunftshoffnung beraubt zu werden glaubte; aber es hat ja doch kein Kind gegeben, das in dem Sinn Kind der Verheißung war, wie Isaak es für Abraham gewesen ist. Es hat manch einen Vater gegeben, der sein Kind verlor, aber dann war es ja Gott, der unveränderliche und unerforschliche Wille des Allmächtigen, seine Hand hat es genommen. Nicht so mit Abraham. Ihm war eine schwerere Prüfung vorbehalten, und mit dem Messer war Isaaks Geschick in Abrahams Hand gelegt. Und er stand da, der alte Mann mit seiner einzigen Hoffnung! Aber er zweifelte nicht, er schaute nicht ängstlich nach rechts oder links, er forderte nicht durch seine Bitten den Himmel heraus. Er wußte, es war Gott der Allmächtige, der ihn versuchte, er wußte, es war das schwerste Opfer, das von ihm gefordert werden konnte; aber er wußte auch, daß kein Opfer zu schwer war, wenn Gott es forderte - und er zückte das Messer.
Wer stärkte Abrahams Arm, wer hielt seine Rechte aufrecht, daß sie nicht ohnmächtig herabsank! Wer darauf blickt, wird gelähmt. Wer stärkte Abrahams Seele, daß es ihm nicht schwarz vor den Augen wurde, so daß er weder Isaak noch den Widder gewahrte! Wer darauf blickt, wird blind. - - Und doch selten genug ist vielleicht der, der lahm und blind wird, noch seltener der, der würdig berichtet, was dort geschehen ist. Wir wissen es alle - es war nur eine Prüfung.
Hätte Abraham, als er auf dem Berge Morija stand, gezweifelt, hätte er sich ratlos umgesehen, hätte er, bevor er das Messer zog, durch einen Zufall den Widder entdeckt, hätte Gott ihm erlaubt, diesen an Stelle von Isaak zu opfern - so wäre er heimgezogen, alles wäre das gleiche, er hätte Sara, er behielte Isaak, und doch wie verändert! Denn sein Rückzug wäre eine Flucht, seine Rettung ein Zufall, sein Lohn Beschämung, seine Zukunft vielleicht Verdammnis. Dann hätte er weder Zeugnis für seinen Glauben noch für Gottes Gnade abgelegt, sondern dafür, wie schrecklich es ist, auf den Berg Morija zu ziehen. Dann würde Abraham nicht vergessen sein, auch nicht der Berg Morija. Dieser würde dann nicht wie der Ararat genannt werden, wo die Arche landete, sondern genannt werden wie ein Entsetzen, weil es hier geschah, daß Abraham zweifelte.
Ehrwürdiger Vater Abraham! Als du vom Berge Morija heimzogst, da bedurftest du keiner Lobrede, welche dich für das Verlorene trösten konnte; denn du gewannst ja alles und behieltest Isaak, war es nicht so? Der Herr nahm ihn nicht mehr von dir, sondern du saßest froh zu Tisch mit ihm in deinem Zelt, wie du es droben tust in alle Ewigkeit. Ehrwürdiger Vater Abraham! Jahrtausende sind seit jenen Tagen dahingeschwunden, aber du bedarfst keines späten Liebhabers, der dein Gedächtnis der Macht des Vergessens entreißen kann; denn jede Zunge gedenkt deiner - und doch lohnst du deinem Liebhaber herrlicher als irgendeiner, du machst ihn droben in deinem Schoß selig, du ziehst hier sein Auge und sein Herz durch das Wunderbarliche deines Tuns in Bann. Ehrwürdiger Vater Abraham! Zweiter Vater des Geschlechts! Du, der zuerst vernahm und Zeugnis ablegte von jener ungeheuren Leidenschaft, die den schrecklichen Kampf mit der Elemente Rasen und den Kräften der Schöpfung verschmäht, um mit Gott zu streiten, du, der zuerst jene höchste Leidenschaft gekannt hat, den heiligen, reinen, demütigen Ausdruck für den göttlichen Wahnsinn, den die Heiden bewunderten - vergib dem, der dir Lob sprechen wollte, wenn er es nicht richtig gemacht hat. Er sprach demütig, wie es seines Herzens Begehr war, er sprach kurz, wie es sich ziemt, aber er wird niemals vergessen, daß du 100 Jahre brauchtest, um wider Erwarten einen Sohn des Alters zu bekommen, daß du das Messer zücken mußtest, bevor du Isaak behieltest, er wird niemals vergessen, daß du in 130 Jahren nicht weiter als bis zum Glauben gekommen bist.
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