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HEGEL: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse / ... / A. Erste Stellung des Gedankens zur Objektivität.
Erster Teil. Die Wissenschaft der Logik
Vorbegriff
§ 24
Die Gedanken können nach diesen Bestimmungen objektive Gedanken genannt werden, worunter auch die Formen, die zunächst in der gewöhnlichen Logik betrachtet und nur für Formen des bewußten Denkens genommen zu werden pflegen, zu rechnen sind. Die Logik fällt daher mit der Metaphysik zusammen, der Wissenschaft der Dinge in Gedanken gefaßt, welche dafür galten, die Wesenheiten der Dinge auszudrücken.
Das Verhältnis von solchen Formen wie Begriff, Urteil und Schluß zu anderen, wie Kausalität usf., kann sich nur innerhalb der Logik selbst ergeben. Aber so viel ist auch vorläufig einzusehen, daß, indem der Gedanke sich von Dingen einen Begriff zu machen sucht, dieser Begriff (und damit auch dessen unmittelbarste Formen, Urteil und Schluß) nicht aus Bestimmungen und Verhältnissen bestehen kann, welche den Dingen fremd und äußerlich sind. Das Nachdenken, ist oben gesagt worden, führt auf das Allgemeine der Dinge; dies ist aber selbst eines der Begriffsmomente. Daß Verstand, Vernunft in der Welt ist, sagt dasselbe, was der Ausdruck "objektiver Gedanke" enthält. Dieser Ausdruck ist aber eben darum unbequem, weil Gedanke zu gewöhnlich nur als dem Geiste, dem Bewußtsein angehörig und das Objektive ebenso zunächst nur von Ungeistigem gebraucht wird.
Zusatz 1. Wenn man sagt, der Gedanke als objektiver Gedanke sei das Innere der Welt, so kann es so scheinen, als solle damit den natürlichen Dingen Bewußtsein zugeschrieben werden. Wir fühlen ein Widerstreben dagegen, die innere Tätigkeit der Dinge als Denken aufzufassen, da wir sagen, der Mensch unterscheide sich durch das Denken vom Natürlichen. Wir müßten demnach von der Natur als dem Systeme des bewußtlosen Gedankens reden, als von einer Intelligenz, die, wie Schelling sagt, eine versteinerte sei. Statt den Ausdruck Gedanken zu gebrauchen, ist es daher, um Mißverständnis zu vermeiden, besser, Denkbestimmung zu sagen. - Das Logische ist, dem Bisherigen zufolge, als ein System von Denkbestimmungen überhaupt aufzusuchen, bei welchen der Gegensatz des Subjektiven und Objektiven (in seiner gewöhnlichen Bedeutung) hinwegfällt. Diese Bedeutung des Denkens und seiner Bestimmungen ist näher darin ausgedrückt, wenn die Alten sagen, der νους regiere die Welt, - oder wenn wir sagen, es sei Vernunft in der Welt, worunter wir verstehen, die Vernunft sei die Seele der Welt, wohne ihr inne, sei ihr Immanentes, ihre eigenste, innerste Natur, ihr Allgemeines. Ein näheres Beispiel ist, daß, wenn wir von einem bestimmten Tiere sprechen, wir sagen, es sei Tier. Das Tier als solches ist nicht zu zeigen, sondern nur immer ein bestimmtes. Das Tier existiert nicht, sondern ist die allgemeine Natur der einzelnen Tiere, und jedes existierende Tier ist ein viel konkreter Bestimmtes, ein Besondertes. Aber Tier zu sein, die Gattung als das Allgemeine, gehört dem bestimmten Tier an und macht seine bestimmte Wesentlichkeit aus. Nehmen wir das Tiersein vom Hunde weg, so wäre nicht zu sagen, was er sei. Die Dinge überhaupt haben eine bleibende, innere Natur und ein äußerliches Dasein. Sie leben und sterben, entstehen und vergehen; ihre Wesentlichkeit, ihre Allgemeinheit ist die Gattung, und diese ist nicht bloß als ein Gemeinschaftliches aufzufassen. Das Denken, wie es die Substanz der äußerlichen Dinge ausmacht, ist auch die allgemeine Substanz des Geistigen. In allem menschlichen Anschauen ist Denken; ebenso ist das Denken das Allgemeine in allen Vorstellungen, Erinnerungen und überhaupt in jeder geistigen Tätigkeit, in allem Wollen, Wünschen usf. Dies alles sind nur weitere Spezifikationen des Denkens. Indem wir das Denken so auffassen, so erscheint dasselbe in einem anderen Verhältnis, als wenn wir bloß sagen: wir haben Denkvermögen unter und neben anderen Vermögen, als Anschauen, Vorstellen, Wollen u. dgl. Betrachten wir das Denken als das wahrhaft Allgemeine alles Natürlichen und auch alles Geistigen, so greift dasselbe über alles dieses über und ist die Grundlage von allem. An diese Auffassung des Denkens in seiner objektiven Bedeutung (als νους) können wir zunächst anknüpfen, was das Denken im subjektiven Sinn ist. Wir sagen vorerst: der Mensch ist denkend, - aber zugleich sagen wir auch, daß er anschauend, wollend usw. sei. Der Mensch ist denkend und ist Allgemeines, aber denkend ist er nur, indem das Allgemeine für ihn ist. Das Tier ist auch an sich Allgemeines, aber das Allgemeine ist als solches nicht für dasselbe sondern nur immer das Einzelne. Das Tier sieht ein Einzelnes, z. B. sein Futter, einen Menschen usw. Aber alles dies ist für dasselbe nur ein Einzelnes. Ebenso hat es die sinnliche Empfindung immer nur mit Einzelnem zu tun (dieser Schmerz, dieser Wohlgeschmack usf.). Die Natur bringt den νους sich nicht zum Bewußtsein; erst der Mensch verdoppelt sich so, das Allgemeine für das Allgemeine zu sein. Dies ist zunächst der Fall, indem der Mensch sich als Ich weiß. Wenn ich Ich sage, so meine ich mich als diese einzelne, durchaus bestimmte Person. In der Tat sage ich jedoch dadurch nichts Besonderes von mir aus. Ich ist auch jeder andere, und indem ich mich als Ich bezeichne, so meine ich zwar mich, diesen Einzelnen, spreche jedoch zugleich ein vollkommen Allgemeines aus. Ich ist das reine Fürsichsein, worin alles Besondere negiert und aufgehoben ist, dieses Letzte, Einfache und Reine des Bewußtseins. Wir können sagen: Ich und Denken sind dasselbe, - oder bestimmter: Ich ist das Denken als Denkendes. Was ich in meinem Bewußtsein habe, das ist für mich. Ich ist diese Leere, das Rezeptakulum für alles und jedes, für welches alles ist und welches alles in sich aufbewahrt. Jeder Mensch ist eine ganze Welt von Vorstellungen, welche in der Nacht des Ich begraben sind. So ist denn Ich das Allgemeine, in welchem von allem Besonderen abstrahiert ist, in welchem aber zugleich alles verhüllt liegt. Es ist deshalb nicht die bloß abstrakte Allgemeinheit, sondern die Allgemeinheit, welche alles in sich enthält. Wir brauchen das Ich zunächst ganz trivial, und erst die philosophische Reflexion ist es, wodurch dasselbe zum Gegenstand der Betrachtung gemacht wird. Im Ich haben wir den ganz reinen präsenten Gedanken. Das Tier kann nicht sprechen "Ich", sondern der Mensch nur, weil er das Denken ist. Im Ich ist nun vielfacher innerer und äußerer Inhalt, und je nachdem dieser Inhalt beschaffen ist, verhalten wir uns sinnlich anschauend, vorstellend, erinnernd usf. Bei allem aber ist das Ich, oder in allem ist das Denken. Denkend ist somit der Mensch immer, auch wenn er nur anschaut; betrachtet er irgend etwas, so betrachtet er es immer als ein Allgemeines, fixiert Einzelnes, hebt es heraus, entfernt dadurch seine Aufmerksamkeit von anderem, nimmt es als ein Abstraktes und Allgemeines, wenn auch nur formell Allgemeines. Bei unseren Vorstellungen findet der gedoppelte Fall statt, daß entweder der Inhalt ein gedachter ist, aber die Form nicht, oder daß umgekehrt die Form dem Gedanken angehört, aber der Inhalt nicht. Sage ich z. B. Zorn, Rose, Hoffnung, so ist mir dies alles der Empfindung nach bekannt, aber diesen Inhalt spreche ich in allgemeiner Weise, in der Form des Gedankens aus; ich habe daran viel Besonderes hinweggelassen und nur den Inhalt als Allgemeines gegeben, aber der Inhalt bleibt sinnlich. Stelle ich mir umgekehrt Gott vor, so ist zwar der Inhalt ein rein Gedachtes, aber die Form noch sinnlich, wie ich dieselbe unmittelbar in mir vorfinde. Bei Vorstellungen ist also der Inhalt nicht bloß sinnlich wie bei Beschauungen, sondern der Inhalt ist entweder sinnlich, die Form aber dem Denken angehörig oder umgekehrt. Im ersten Falle ist der Stoff gegeben, und die Form gehört dem Denken an; im andern Falle ist das Denken der Quell des Inhalts, aber durch die Form wird der Inhalt zu einem Gegebenen, das somit äußerlich an den Geist kommt.
Zusatz 2. In der Logik haben wir es mit dem reinen Gedanken oder den reinen Denkbestimmungen zu tun. Beim Gedanken im gewöhnlichen Sinn stellen wir uns immer etwas vor, was nicht bloß reiner Gedanke ist, denn man meint ein Gedachtes damit, dessen Inhalt ein Empirisches ist. In der Logik werden die Gedanken so gefaßt, daß sie keinen anderen Inhalt haben als einen dem Denken selbst angehörigen und durch dasselbe hervorgebrachten. So sind die Gedanken reine Gedanken. So ist der Geist rein bei sich selbst und hiermit frei, denn die Freiheit ist eben dies, in seinem Anderen bei sich selbst zu sein, von sich abzuhängen, das Bestimmende seiner selbst zu sein. In allen Trieben fange ich von einem Anderen an, von einem solchen, das für mich ein Äußerliches ist. Hier sprechen wir dann von Abhängigkeit. Freiheit ist nur da, wo kein Anderes für mich ist, das ich nicht selbst bin. Der natürliche Mensch, welcher nur durch seine Triebe bestimmt wird, ist nicht bei sich selbst: wenn auch noch so eigensinnig, so ist der Inhalt seines Wollens und Meinens doch nicht sein eigener, und seine Freiheit ist nur eine formelle. Indem ich denke, gebe in meine subjektive Besonderheit auf, vertiefe ich mich in die Sache, lasse das Denken für sich gewähren, und ich denke schlecht, indes ich von dem Meinigen etwas hinzutue. Betrachten wir dem Bisherigen zufolge die Logik als das System der reinen Denkbestimmungen, so erscheinen dagegen die anderen philosophischen Wissenschaften, die Naturphilosophie und die Philosophie des Geistes, gleichsam als eine angewandte Logik, denn diese ist die belebende Seele derselben. Das Interesse der übrigen Wissenschaften ist dann nur, die logischen Formen in den Gestalten der Natur und des Geistes zu erkennen, Gestalten, die nur eine besondere Ausdrucksweise der Formen des reinen Denkens sind. Nehmen wir z. B. den Schluß (nicht in der Bedeutung der alten, formellen Logik, sondern in seiner Wahrheit), so ist die Bestimmung, daß das Besondere die Mitte sei, welche die Extreme des Allgemeinen und Einzelnen zusammenschließt. Diese Form des Schließens ist eine allgemeine Form aller Dinge. Alle Dinge sind besondere, die sich als ein Allgemeines mit dem Einzelnen zusammenschließen. Die Ohnmacht der Natur bringt dann aber mit sich, die logischen Formen nicht rein darzustellen. Eine solche ohnmächtige Darstellung des Schlusses ist z. B. der Magnet, der in der Mitte, in seinem Indifferenzpunkt, seine Pole zusammenschließt, die hiermit in ihrer Unterschiedenheit unmittelbar eins sind. In der Physik lernt man auch das Allgemeine, das Wesen kennen, und der Unterschied ist nur der, daß die Naturphilosophie die wahrhaften Formen des Begriffs in den natürlichen Dingen uns zum Bewußtsein bringt. - Die Logik ist somit der allbelebende Geist aller Wissenschaften, die Denkbestimmungen der Logik sind die reinen Geister; sie sind das Innerste, aber zugleich sind sie es, die wir immer im Munde führen und die deshalb etwas durchaus Bekanntes zu sein scheinen. Aber solch Bekanntes ist gewöhnlich das Unbekannteste. So ist z. B. das Sein reine Denkbestimmung; es fällt uns jedoch nie ein, das Ist zum Gegenstand unserer Betrachtung zu machen. Man meint gewöhnlich, das Absolute müsse weit jenseits liegen; aber es ist gerade das ganz Gegenwärtige, das wir als Denkendes, wenn auch ohne ausdrückliches Bewußtsein darum, immer mit uns führen und gebrauchen. In der Sprache vornehmlich sind solche Denkbestimmungen niedergelegt, und so hat der Unterricht in der Grammatik, welcher den Kindern erteilt wird, das Nützliche, daß man sie unbewußt auf Unterschiede des Denkens aufmerksam macht. Man sagt gewöhnlich, die Logik habe es nur mit Formen zu tun und ihren Inhalt anderswo herzunehmen. Die logischen Gedanken sind indes kein Nur gegen allen anderen Inhalt, sondern aller andere Inhalt ist nur ein Nur gegen dieselben. Sie sind der an und für sich seiende Grund von allem. - Es gehört schon ein höherer Standpunkt der Bildung dazu, auf solche reine Bestimmungen sein Interesse zu richten. Das An-und-für-sich-selbst-Betrachten derselben hat den weiteren Sinn, daß wir aus dem Denken selbst diese Bestimmungen ableiten und aus ihnen selbst sehen, ob sie wahrhafte sind. Wir nehmen sie nicht äußerlich auf und definieren sie dann oder zeigen ihren Wert und ihre Gültigkeit auf, indem wir sie vergleichen mit dem, wie sie im Bewußtsein vorkommen. Dann würden wir von der Beobachtung und Erfahrung ausgehen und z. B. sagen: Kraft pflegen wir da- und dafür zu gebrauchen. Solche Definition nennen wir dann richtig, wenn dieselbe mit dem übereinstimmt, was von dem Gegenstand derselben in unserem gewöhnlichen Bewußtsein sich findet. Auf solche Weise wird indes ein Begriff nicht an und für sich, sondern nach einer Voraussetzung bestimmt, welche Voraussetzung dann das Kriterium, der Maßstab der Richtigkeit ist. Wir haben indes solchen Maßstab nicht zu gebrauchen, sondern die in sich selbst lebendigen Bestimmungen für sich gewähren zu lassen. Die Frage nach der Wahrheit der Gedankenbestimmungen muß dem gewöhnlichen Bewußtsein seltsam vorkommen, denn dieselben scheinen nur in ihrer Anwendung auf gegebene Gegenstände die Wahrheit zu erhalten, und es hätte hiernach keinen Sinn, ohne diese Anwendung nach ihrer Wahrheit zu fragen. Diese Frage aber ist es gerade, worauf es ankommt. Dabei muß man freilich wissen, was unter Wahrheit zu verstehen ist. Gewöhnlich nennen wir Wahrheit Übereinstimmung eines Gegenstandes mit unserer Vorstellung. Wir haben dabei als Voraussetzung einen Gegenstand, dem unsere Vorstellung von ihm gemäß sein soll. - Im philosophischen Sinne dagegen heißt Wahrheit, überhaupt abstrakt ausgedrückt, Übereinstimmung eines Inhalts mit sich selbst. Dies ist also eine ganz andere Bedeutung von Wahrheit als die vorher erwähnte. Übrigens findet sich die tiefere (philosophische) Bedeutung der Wahrheit zum Teil auch schon im gewöhnlichen Sprachgebrauch. So spricht man z. B. von einem wahren Freund und versteht darunter einen solchen, dessen Handlungsweise dem Begriff der Freundschaft gemäß ist; ebenso spricht man von einem wahren Kunstwerk. Unwahr heißt dann soviel als schlecht, in sich selbst unangemessen. In diesem Sinne ist ein schlechter Staat ein unwahrer Staat, und das Schlechte und Unwahre überhaupt besteht in den Widerspruch, der zwischen der Bestimmung oder dem Begriff und der Existenz eines Gegenstandes stattfindet. Von einem solchen schlechten Gegenstand können wir uns eine richtige Vorstellung machen, aber der Inhalt dieser Vorstellung ist ein in sich Unwahres. Solcher Richtigkeiten, die zugleich Unwahrheiten sind, können wir viele im Kopfe haben. - Gott allein ist die wahrhafte Übereinstimmung des Begriffs und der Realität; alle endlichen Dinge aber haben eine Unwahrheit an sich, sie haben einen Begriff und eine Existenz, die aber ihrem Begriff unangemessen ist. Deshalb müssen sie zugrunde gehen, wodurch die Unangemessenheit ihre Begriffs und ihrer Existenz manifestiert wird. Das Tier als Einzelnes hat seinen Begriff in seiner Gattung, und die Gattung befreit sich von der Einzelheit durch den Tod. Die Betrachtung der Wahrheit in dem hier erläuterten Sinn, der Übereinstimmung mit sich selbst, macht das eigentliche Interesse des Logischen aus. Im gewöhnlichen Bewußtsein kommt die Frage nach der Wahrheit der Denkbestimmungen gar nicht vor. Das Geschäft der Logik kann auch so ausgedrückt werden, daß in ihr die Denkbestimmungen betrachtet werden, inwiefern sie fähig seien, das Wahre zu fassen. Die Frage geht also darauf, welches die Formen des Unendlichen und welches die Formen des Endlichen sind. Im gewöhnlichen Bewußtsein hat man bei den endlichen Denkbestimmungen kein Arges und läßt sie ohne weiteres gelten. Alle Täuschung aber kommt daher, nach endlichen Bestimmungen zu denken und zu handeln.
Zusatz 3. Das Wahre kann man auf verschiedene Weise erkennen, und die Weisen des Erkennens sind nur als Formen zu betrachten. So kann man allerdings das Wahre durch Erfahrung erkennen, aber diese Erfahrung ist nur eine Form. Bei der Erfahrung kommt es darauf an, mit welchem Sinn man an die Wirklichkeit geht. Ein großer Sinn macht große Erfahrungen und erblickt in dem bunten Spiel der Erscheinung das, worauf es ankommt. Die Idee ist vorhanden und wirklich, nicht etwas da drüben und hinten. Der große Sinn, wie z. B. der eines Goethe, der in die Natur oder in die Geschichte blickt, macht große Erfahrungen, erblickt das Vernünftige und spricht es aus. Das Fernere ist sodann, daß man das Wahre auch in der Reflexion erkennen kann und es durch Verhältnisse des Gedankens bestimmt. Das Wahre an und für sich ist indes in diesen beiden Weisen noch nicht in seiner eigentlichen Form vorhanden. Die vollkommenste Weise des Erkennens ist die in der reinen Form des Denkens. Der Mensch verhält sich hier auf durchaus freie Weise. Daß die Form des Denkens die absolute ist und daß die Wahrheit in ihr erscheint, wie sie an und für sich ist, dies ist die Behauptung der Philosophie überhaupt. Der Beweis dafür hat zunächst den Sinn, daß aufgezeigt wird, daß jene anderen Formen des Erkennens endliche Formen sind. Der hohe, antike Skeptizismus hat dieses vollbracht, indem er an allen jenen Formen aufgezeigt, daß dieselben einen Widerspruch in sich enthalten. Indem dieser Skeptizismus sich auch an die Formen der Vernunft begibt, so schiebt er denselben erst etwas Endliches unter, um sie daran zu fassen. Die sämtlichen Formen des endlichen Denkens werden im Verlauf der logischen Entwicklung vorkommen und zwar so, wie sie nach der Notwendigkeit auftreten: hier (in der Einleitung) müßten sie auf unwissenschaftliche Weise zunächst aufgenommen werden als etwas Gegebenes. In der logischen Abhandlung selbst wird nicht nur die negative Seite dieser Formen aufgezeigt, sondern auch die positive Seite derselben. Indem man die verschiedenen Formen des Erkennens miteinander vergleicht, so kann die erste, die des unmittelbaren Wissens, leicht als die angemessenste, schönste und höchste erscheinen. In diese Form fällt alles, was in moralischer Rücksicht Unschuld heißt, sodann religiöses Gefühl, unbefangenes Zutrauen, Liebe, Treue und natürlicher Glaube. Die beiden andern Formen, zunächst die des reflektierenden Erkennens und dann auch das philosophische Erkennen, treten heraus aus jener unmittelbaren natürlichen Einheit. Indem sie dies miteinander gemein haben, so kann die Weise, durch das Denken das Wahre erfassen zu wollen, leicht als ein Stolz des Menschen, der aus eigener Kraft das Wahre erkennen will, erscheinen. Als Standpunkt der allgemeinen Trennung kann dieser Standpunkt allerdings angesehen werden als der Ursprung alles Übels und alles Bösen, als der ursprüngliche Frevel, und es scheint hiernach, daß das Denken und Erkennen aufzugeben sei, um zur Rückkehr und zur Versöhnung zu gelangen. Was hierbei das Verlassen der natürlichen Einheit anbetrifft, so ist diese wundervolle Entzweiung des Geistigen in sich von alters her ein Gegenstand des Bewußtseins der Völker gewesen. In der Natur kommt solche innere Entzweiung nicht vor, und die natürlichen Dinge tun nichts Böses. Eine alte Vorstellung über den Ursprung und die Folgen jener Entzweiung ist uns in dem mosaischen Mythus vom Sündenfall gegeben. Der Inhalt dieses Mythus bildet die Grundlage einer wesentlichen Glaubenslehre, der Lehre von der natürlichen Sündhaftigkeit des Menschen und der Notwendigkeit einer Hilfe dagegen. Es erscheint als angemessen, den Mythus vom Sündenfall an der Spitze der Logik zu betrachten, da diese es mit dem Erkennen zu tun hat und es sich auch in diesem Mythus um das Erkennen, um dessen Ursprung und Bedeutung handelt. Die Philosophie darf sich vor der Religion nicht scheuen und sich die Stellung nicht geben, als ob sie zufrieden sein müsse, wenn die Religion sie nur toleriere. Ebenso ist aber auch andererseits die Ansicht von der Hand zu weisen, als ob dergleichen Mythen und religiöse Darstellungen etwas Abgetanes seien, denn sie haben eine tausendjährige Ehrwürdigkeit unter den Völkern. Betrachten wir nunmehr den Mythus vom Sündenfall näher, so finden wir, wie vorher bemerkt wurde, darin das allgemein Verhältnis des Erkennens zum geistigen Leben ausgedrückt. Das geistige Leben in seiner Unmittelbarkeit erscheint zunächst als Unschuld und unbefangenes Zutrauen; nun aber liegt es im Wesen des Geistes, daß dieser unmittelbare Zustand aufgehoben wird, denn das geistige Leben unterscheidet sich dadurch vom natürlichen und näher vom tierischen Leben, daß es nicht in seinem Ansichsein verbleibt, sondern für sich ist. Dieser Standpunkt der Entzweiung ist demnächst gleichfalls aufzuheben, und der Geist soll durch sich zur Einigkeit zurückkehren. Diese Einigkeit ist dann eine geistige, und das Prinzip jener Zurückführung liegt im Denken selbst. Dieses ist es, welches die Wunde schlägt und dieselbe auch heilt. - Es heißt nun in unserem Mythus, daß Adam und Eva, die ersten Menschen, der Mensch überhaupt, sich in einem Garten befanden, worin sich ein Baum des Lebens und ein Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen befand. Von Gott wird gesagt, er habe den Menschen verboten, von den Früchte des letzteren Baumes zu essen; vom Baum des Lebens ist zunächst nicht weiter die Rede. Hiermit ist also ausgesprochen, daß der Mensch nicht zum Erkennen kommen, sondern im Stande der Unschuld bleiben soll. Auch bei anderen Völkern tieferen Bewußtseins finden wir die Vorstellung, daß der erste Zustand des Menschen ein Zustand der Unschuld und der Einigkeit gewesen sei. Hierin liegt das Richtige, daß es allerdings bei der Entzweiung, in welcher wir alles Menschliche vorfinden, nicht sein Bewenden haben kann; dagegen ist es unrichtig, daß die unmittelbare, natürliche Einheit das Rechte sei. Der Geist ist nicht bloß ein Unmittelbares, sondern er enthält wesentlich das Moment der Vermittlung in sich. Die kindliche Unschuld hat allerdings etwas Anziehendes und Rührendes, aber nur insofern sie an dasjenige erinnert, was durch den Geist hervorgebracht werden soll. Jene Einigkeit, die wir in den Kindern anschauen als eine natürliche, soll das Resultat der Arbeit und Bildung des Geistes sein. - Christus sagt: "Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder" usf.; damit ist aber nicht gesagt daß wir Kinder bleiben sollen. - In unserem mosaischen Mythus finden wir nun ferner, daß die Veranlassung, aus der Einheit herauszutreten, durch eine äußerliche Aufforderung (durch die Schlange) an den Menschen gelangt sei. In der Tat liegt jedoch das Eingehen in den Gegensatz, das Erwachen des Bewußtseins im Menschen selbst, und es ist dies die an jedem Menschen sich wiederholende Geschichte. Die Schlange setzt die Göttlichkeit darein, zu wissen, was gut und böse ist, und diese Erkenntnis ist es in der Tat, welche dem Menschen dadurch zuteil geworden, daß er mit der Einheit seines unmittelbaren Seins gebrochen, daß er von den verbotenen Früchten genossen. Die erste Reflexion des erwachenden Bewußtseins war, daß die Menschen bemerkten, daß sie nackt waren. Dies ist ein sehr naiver und gründlicher Zug. In der Scham nämlich liegt die Scheidung des Menschen von seinem natürlichen und sinnlichen Sein. Die Tiere, welche zu dieser Scheidung nicht vorschreiten, sind deshalb schamlos. In dem menschlichen Gefühl der Scham ist dann auch der geistige und sittliche Ursprung der Kleidung zu suchen; das bloß physische Bedürfnis ist dagegen nur etwas Sekundäres. - Weiter folgt nun der sogenannte Fluch, den Gott auf den Menschen gelegt hat. Was darin hervorgehoben ist, bezieht sich vornehmlich auf den Gegensatz des Menschen gegen die Natur. Der Mann soll arbeiten im Schweiße seines Angesichts, und das Weib soll mit Schmerzen gebären. Was hierbei näher die Arbeit anbetrifft, so ist dieselbe ebensosehr das Resultat der Entzweiung als auch die Überwindung derselben. Das Tier findet unmittelbar vor, was es zur Befriedigung seiner Bedürfnisse braucht; der Mensch hingegen verhält sich zu den Mitteln zur Befriedigung seiner Bedürfnisse als einem durch ihn Hervorgebrachten und Gebildeten. Auch in dieser Äußerlichkeit verhält sich so der Mensch zu sich selbst. - Mit der Vertreibung aus dem Paradies ist der Mythus noch nicht beschlossen. Es heißt noch weiter: "Gott sprach: Siehe, Adam ist worden wie unsereiner, denn er weiß, was gut und böse ist."*) - Das Erkennen ist hier bezeichnet als das Göttliche und nicht wie früher als das, was nicht sein soll. Hierin liegt dann auch die Widerlegung des Geredes, daß die Philosophie nur der Endlichkeit des Geiste angehöre; die Philosophie ist Erkennen, und erst durch das Erkennen ist der ursprüngliche Beruf des Menschen, ein Ebenbild Gottes zu sein, realisiert worden. - Wenn es dann noch heißt, Gott habe den Menschen aus dem Garten Eden vertrieben, damit er nicht auch vom Baum des Lebens esse, so ist hiermit ausgesprochen, daß der Mensch nach seiner natürlichen Seite allerdings endlich und sterblich ist, unendlich aber im Erkennen. Bekannte Lehre der Kirche ist es, daß der Mensch von Natur böse sei, und dieses Bösesein von Natur wird als Erbsünde bezeichnet. Dabei ist jedoch die äußerliche Vorstellung aufzugeben, daß die Erbsünde nur in einem zufälligen Tun der ersten Menschen ihren Grund habe. In der Tat liegt es im Begriff des Geistes, daß der Mensch von Natur böse ist, und man hat sich nicht vorzustellen, daß dies auch anders sein könnte. Insofern der Mensch als Naturwesen ist und sich als solches verhält, so ist dies ein Verhältnis, welches nicht sein soll. Der Geist soll frei und das, was er ist, durch sich selbst sein. Die Natur ist für den Menschen nur der Ausgangspunkt, den er umbilden soll. Der tiefen kirchlichen Lehre von der Erbsünde steht die Lehre der modernen Aufklärung gegenüber, daß der Mensch von Natur gut sei und also dieser getreu bleiben müsse. Das Heraustreten des Menschen aus seinem natürlichen Sein ist die Unterscheidung desselben als eines selbstbewußten von einer äußerlichen Welt. Dieser zum Begriff des Geistes gehörige Standpunkt der Trennung ist es dann aber auch nicht, auf welchem der Mensch bleiben soll. In diesen Standpunkt der Entzweiung fällt die ganze Endlichkeit des Denkens und des Wollens. Der Mensch macht sich hier Zwecke aus sich und nimmt aus sich den Stoff seines Handelns. Indem er diese Zwecke auf die höchste Spitze treibt, nur sich weiß und will in seiner Besonderheit mit Ausschluß des Allgemeinen, so ist er böse, und dieses Böse ist seine Subjektivität. Wir haben hier dem ersten Anschein nach ein gedoppeltes Böses; allein beide sind in der Tat dasselbe. Der Mensch, insofern er Geist ist, ist nicht ein Naturwesen; insofern er als solches sich verhält und den Zwecken der Begierde folgt, so will er dieses. Das natürliche Böse der Menschen ist also nicht wie das natürliche Sein der Tiere. Die Natürlichkeit hat dann näher diese Bestimmung, daß der natürliche Mensch ein Einzelner als solcher ist, denn die Natur liegt überhaupt in den Banden der Vereinzelung. Insofern der Mensch somit seine Natürlichkeit will, so will er die Einzelheit. Gegen dieses der natürlichen Einzelheit angehörige Handeln aus Trieben und Neigungen tritt dann allerdings auch das Gesetz oder die allgemeine Bestimmung auf. Dieses Gesetz mag nun eine äußere Gewalt sein oder die Form göttlicher Autorität haben. Der Mensch ist in der Knechtschaft des Gesetzes, solange er in seinem natürlichen Verhalten bleibt. In seinen Neigungen und Gefühlen hat nun der Mensch wohl auch über die selbstische Einzelheit hinausreichende, wohlwollende, soziale Neigungen, Mitleid, Liebe usf. Insofern aber diese Neigungen unmittelbar sind, so hat der an sich allgemeine Inhalt derselben doch die Form der Subjektivität; Selbstsucht und Zufälligkeit haben hier immer das Spiel.
*) 1. Mose 3, 22
Hegel KONTEXT>>>
[siehe auch: Der Grundcharakter, wodurch er sich vom Tier unterscheidet, ist, daß er weiß, was Gut und Böses ist; so sagt denn auch Gott: "Siehe, Adam ist worden wie unsereiner, er weiß, was gut und böse ist." (1.Mose 3.22 >) Dadurch, daß der Mensch erkennt, daß er ein Denkendes ist, kann er nur den Unterschied von gut und böse machen; im Denken liegt allein die Quelle des Bösen und Guten: es liegt im Denken aber auch die Heilung des Bösen, was durch das Denken angerichtet ist.
Hegel. Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie >>>]
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