Zusatz. Wir sind an die Vorstellung der Gewohnheit gewöhnt; dennoch ist die Bestimmung des Begriffs derselben schwierig. Aus diesem Grunde wollen wir hier noch einige Erläuterungen jenes Begriffes geben. Zuvörderst muß die Notwendigkeit des dialektischen Fortgangs von der (§ 408 betrachteten) Verrücktheit zu der (in den §§ 409 u. 410 abgehandelten) Gewohnheit gezeigt werden. Zu dem Ende erinnern wir daran, daß im Wahnsinn die Seele das Bestreben hat, sich aus dem zwischen ihrem objektiven Bewußtsein und ihrer fixen Vorstellung vorhandenen Widerspruch zur vollkommenen inneren Harmonie des Geistes wiederherzustellen. Diese Wiederherstellung kann ebensowohl mißlingen wie erfolgen. Für die einzelne Seele erscheint somit das Gelangen zum freien, in sich harmonischen Selbstgefühl als etwas Zufälliges. An sich aber ist das absolute Freiwerden des Selbstgefühls, das ungestörte Beisichsein der Seele in aller Besonderheit ihres Inhalts, etwas durchaus Notwendiges, denn an sich ist die Seele die absolute Idealität, das Übergreifende über alle ihre Bestimmtheiten, und in ihrem Begriffe liegt es, daß sie sich durch Aufhebung der in ihr festgewordenen Besonderheiten als die unbeschränkte Macht über dieselben erweist, - daß sie das noch Unmittelbare, Seiende in ihr zu einer bloßen Eigenschaft, zu einem bloßen Momente herabsetzt, um durch diese absolute Negation als freie Individualität für sich selber zu werden. Nun haben wir zwar schon in dem Verhältnis der menschlichen Seele zu ihrem Genius ein Fürsichsein des Selbsts zu betrachten gehabt. Dort hatte jedoch dies Fürsichsein noch die Form der Äußerlichkeit, der Trennung in zwei Individualitäten, in ein beherrschendes und ein beherrschtes Selbst, und zwischen diesen beiden Seiten fand noch kein entschiedener Gegensatz, kein Widerspruch statt, so daß der Genius, diese bestimmte Innerlichkeit, ungehindert sich in dem menschlichen Individuum zur Erscheinung brachte. Auf der Stufe dagegen, bis zu welcher wir jetzt die Entwicklung des subjektiven Geistes fortgeführt haben, kommen wir zu einem Fürsichsein der Seele, das vom Begriff derselben durch Überwindung des in der Verrücktheit vorhandenen inneren Widerspruchs des Geistes, durch Aufhebung der gänzlichen Zerrissenheit des Selbsts zustandegebracht ist. Dies Beisichselbersein nennen wir die Gewohnheit.
G.W.F.Hegel Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830) § 410 Die Gewohnheit Hegel Kontext>
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