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                                                                                                                                manfred herok    2014

Verweilen beim Tao

“Es gab unter den Chinesen auch schon eine Klasse von Menschen, die sich innerlich beschäftigten, die nicht nur zur allgemeinen Staatsreligion des Tien gehörten, sondern eine Sekte bildeten, die sich dem Denken ergab, in sich zum Bewusstsein zu bringen suchte, was das Wahre sei.

… und das ist die Sekte des Tao.”    >>>

(G. W. F. Hegel. Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, Werke 16, stw. S. 328)

Geschichtlich kommt diese Innerlichkeit nicht aus Nichts, sondern sie ist eine Rückkehr des Bewusstseins in sich selbst. Die Innerlichkeit ist nicht unmittelbar,
sondern vermittelt durch den Gegensatz zum unmittelbaren Selbstbewusstsein,
das sich als das Höchste, als das Regierende, als “Himmelskaiser” weiß.
Insofern ist es die alte chinesische Kultur als erste Gestaltung der “natürlichen Religion”, als Staatsreligion, deren Äußerlichkeit unmittelbarer Totalität des Kaisers, die Forderung stellt, „daß das Bewusstsein in sich selbst meditierend ist.“ (s. o.)

„Damit ist verbunden, daß diese Menschen, die in den Gedanken, das Innere zurückgehen, auf die Abstraktion des Gedankens sich legen, zugleich die Absicht hatten, unsterblich, für sich reine Wesen zu werden …, sich selbst für höhere Wesen, auch der Existenz, der Wirklichkeit nach, hielten.“ (s. o.)

Seine besondere Ausprägung findet die Lehre des Tao bei Laotse, im Tao te king, zur Zeit des Konfuzius.

„Konfuzius ist durchaus moralisch, kein spekulativer Philosoph. Der Tien, diese allgemeine Naturmacht, welche Wirklichkeit durch die Gewalt des Kaisers ist, ist verbunden mit moralischem Zusammenhang, und diese moralische Seite hat Konfuzius vornehmlich ausgebildet.“ (s. o.)

Hegel sieht den Gegensatz ganz klar: Konfuzius ist kein spekulativer Philosoph,
- wie Hegel selbst -, sondern (nur erst) ein Gelehrter der Staatsmoral.

In den taoistischen späteren chinesischen Zen-buddhistischen Texten wird genau dieser Widerspruch, Laotse –Konfuzius, in vielen anekdotischen fiktiven Gesprächen der Kontrahenten und ihrer Jünger lehrmäßig thematisiert.

Hegel ist nicht nur darum auf diese frühesten philosophisch-religiösen Lehrstücke nicht weiter eingegangen, weil ihm die Fülle der Literatur noch nicht zur Verfügung stand, sondern vor allem weil, wenn das Tao „einen absoluten Abgrund und das Nichts: das Höchste, das Letzte, das Ursprüngliche, das Erste, der Ursprung aller Dinge ist das Nichts, das Leere, das ganz Unbestimmte (das abstrakt Allgemeine)
(Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, S. 197, Werke 18, stw)

Bedeutet, daß man nichts hat als „diese selbe Negation, nur affirmativ ausgesprochen“ und man ist im Philosophieren nun nicht weiter gekommen als zu solchen Ausdrücken“ und steht nur „auf der ersten Stufe.“

Für Hegel entfaltet sich die ganze Fülle der Philosophie erst wirklich im griechischen Geist, angefangen bei den Sieben Weisen, die erst das Vorwort geben für Thales, Pythagoras, die Elaten, Heraklit, Platon bis Aristoteles.
Die „orientalische Philosophie“ ist noch keine Vernunft in sich,
sondern erkennt nur einerseits unbestimmte Abstraktionen und andererseits wirkliches unmittelbares Bewusstsein, das sich dadurch ins Magisch-Phantastische verliert.

Die große Gefahr, die Hegel klar sieht, ist weiterhin die, die wir heute Projektion nennen können: Wir sind Taoisten, Buddhisten, Indianer, Frühchristen …, vom Schamanen gar nicht erst zu reden, in Opposition zu dem modernen Individualisten, der wir eigentlich sind — und wissen nicht mehr, wovon wir eigentlich reden.
Und es ist keine Kleinigkeit, vor der Hegel in dieser Beziehung warnt: diese Schwärmerei unvernünftiger phantasmatischer Projektion und Pseudo-Identifikation hat sich 1½ Jahrhunderte nach Hegel grausam erwiesen als Protofaschismus, als ethnischer Wahn.
Der Übergang von subversivem Stadtindianer zum Mutter-Erde-Verehrer zum Blut-und-Boden-Kämpfer wird bisweilen fließend, wenn auch nicht unbedingt in ein und derselben Person, aber als gesellschaftliche Stimmung in einer sozialen Krise.
Dasselbe gilt aber auch für einen griechisch-germanischen Kult,
wenn es einerseits dabei mit der Philosophie doch nicht so weit her ist und wenn vor allem die Botschaft: „Es gibt weder Mann noch Frau, weder Juden noch Griechen“ (Johannes) nicht mehr ankommt.
Und genau deshalb lohnt es sich bei Laotse und Konfuzius noch einmal näher hinzuschauen. „Konfuzius ist durchaus moralisch, kein spekulativer Philosoph.“
Laotse dagegen ist durchaus spekulativer Philosoph und insofern authentischer Urahn Hegels. Denn nicht nur kommt man mit der positiven Erkenntnis des absoluten Abgrunds und der Leere des Nichts als dem Höchsten, Letzten, als das Ursprüngliche, das Erste, dem Ursprung aller Dinge … nicht weiter, wenn man es Tao nennt und keine weiteren Unterscheidungen in diesem Absoluten findet, sondern man hat vor allem durchaus den Anfang der Spekulation gefunden, der von nun an das Denken lebendig hält..

„ Der SINN, der sich aussprechen lässt,
ist nicht der ewige SINN.
Der Name, der sich nennen lässt,
ist nicht der ewige Name.
„Nichtsein“ nenne ich den Anfang von Himmel und Erde.
„Sein“ nenne ich die Mutter der Einzelwesen
Darum führt die Richtung auf das Nichtsein
Zum Schauen des wunderbaren Wesens,
die Richtung auf das Sein
zum Schauen der räumlichen Begrenztheiten.“

(Laotse, Tao te king, Übersetzung R.Wilhelm, Diederichs, S. 41)

Hegel kannte diesen Text von Laotse in einer anderen Übersetzung:

„Die Hauptschrift von ihm haben wir noch, und in Wien ist sie übersetzt worden;
ich habe sie selbst da gesehen…“ Ohne Namen ist Tao das Prinzip des Himmels und der Erde; mit dem Namen ist es die Mutter des Universums.
Mit Leidenschaft betrachtet man sie nur in ihrem unvollkommenen Zustand; wer sie erkennen will, muss ohne Leidenschaft sein.“

>Laotse/Tao te king/1.Vers/Übersetzungen

Richard Wilhelms Übersetzung ist genauer: der SINN erscheint in „“Richtung auf das Nichtsein“, „Beständiges Nichtbegehren“, nach Jan Ulenbrook, Ullstein, 1980

Der SINN, Tao auch Logos oder Weg -, ist unaussprechlich.
Er ist, wie Hegels reines Sein, unmittelbar identisch mit Nichts. Tao hat keine Bestimmung, eine positive Eigenschaft. Es ist reines Wort ohne Prädikat.

Es ist aber nicht einfach Nichts, sondern zugleich Nicht-Nichts,
nämlich ewiger „Anfang von Himmel und Erde“ und „Schauen des wunderbaren Wesens“
(oder, nach Ulenbrook: Betrachten seiner (des Weges) Geheimnisse).

Tao ist Etwas jenseits räumlicher, zeitlicher und sprachlicher Begrenzungen,
das als Richtung existiert. Oder besser: präexistiert, denn es selbst ist ohne Existenzgrund, der Urgrund oder Ungrund schlechthin.
Und zwar als wirkender Ungrund, als unvordenkliche chaotische Urquelle allen Seins. Tao ist als außerräumlich- unzeitlich nicht nur immer schon vergangen, sondern gleichzeitig unvergänglicheEnergiequelle aller Einzelwesen.

In kantschen Begriffen ist Tao reine Vernunftidee, die als eigenschaftsloses Irgendetwas den Ermöglichungsgrund bereitstellt für alle möglichen Eigenschaften und Bestimmungen.

Es ist nicht nur ein ewig Jenseitiges Ding-an-sich, sondern es ist zugleich das,
was jedes Einzelding als-es-selbst ist.

Die Richtung auf das Nichtsein und die Richtung auf das endlose Sein der Einzelwesen in räumlichen Begrenztheiten, sind nicht zwei verschiedene Welten, kein Diesseits und Jenseits, sondern:

„Beides ist eins dem Ursprung nach
und nur verschieden durch den Namen.
In der Einheit heißt es das Geheimnis.
Des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis
Ist das Tor, durch das alle Wunder
hervortreten.“

(Laotse, R. Wilhelm)

Oder nach Ulenbrook: „Diese beiden treten in eins hervor und sind dabei verschiedenen Namens.“

Wenn Hegel von Kants Ding-an-sich ausgehend gegen Kant, gegen dessen Verdrängung des absoluten Dings ins Jenseits, polemisiert, da das Ding als absolute Negativität des Selbst, schon immer als die absolute Wirkkraft aller verständigen Erkenntnis ist, dann ist er Laotse näher, als er vielleicht wahrhaben wollte.

Daß Taoismus und Buddhismus zusammengehen können, war Hegel bewusst:
„Von Laotse selbst sagen seine Anhänger, er sei Buddha, der als Mensch immerfort existierende Gott geworden.“ (Gesch. d. Phil. I. S. 146)

Hegel weiß, daß man auch Zusammenhänge gesehen hat von Tao und dem JHW,
dem hebräischen Gottesnamen, den Namen des All-Schöpfers, den man nicht aussprechen kann und der unsichtbar ist.

Was Hegel vor allem erstaunt:

„Merkwürdig ist in dieser Beziehung, daß in dem Tao, der Totalität, die Bestimmung der Dreiheit vorkommt.
Das Eins hat das Zwei hervorgebracht, das Zwei das Drei, dieses das Universum. Sobald sich also der Mensch denkend verhielt, ergab sich auch sogleich die Bestimmung der Dreiheit.“ (V. ü. d. Ph. D. Religion I, S. 328)
“(Anspielung auf die Dreieinigkeit hat man darin finden wollen.)“
 (V. ü. d. G. d. Philosophie, S. 146)

Diese „Anspielung“ findet sich im christlichen Kanon selbst, im Hebräerbrief,
in dem der Autor Christus in die Gemeinschaft einer ewigen, vorjüdischen „Priesterschaft der Ewigkeit“ stellt.
Das ist gerechtfertigt, insofern an den abstrakten Kern, an die Leere oder Lücke erinnert wird, die als Anfang vor dem Anfang (F. W. J. Schelling),
als ewige unbegrenzte Quelle aller Bestimmungen wirkt.

So ist ein Verweilen beim Tao, als Verweilen beim Negativen das Mittel gegen die Überschwemmung der Vorstellungen mit New-Age-Obskurantismus, - das Mittel gegen neoheidnischen Aberglauben, gegen den schönen konsumierbaren „Taoismus“ z. B.

Die kraftlose Schönheit hasst den Verstand, weil er ihr dies zumutet,
was sie nicht vermag.
Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und vor Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und sich in ihm erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur,
indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet.
Diese Macht ist er nicht als das Positive, welches von dem Negativen wegsieht,
wie wenn wir von etwas sagen, dies ist nichts oder falsch, und nun,
damit fertig, davon weg zu irgend etwas anderem übergehen;
sondern er ist die Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt.
Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die es in das Sein umkehrt.

(G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes)

Manfred Herok © 2001

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“Die erste Unmittelbarkeit muß sich als aufgehoben zeigen,
als gesetzt;
so muß man immer zum Anfang zurückkehren.”
 
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Bei der Abstraktion aber ist die Sammlung des Geistes auf einen Punkt vorhanden, und es wird dadurch die Gewohnheit erworben, sich mit der Innerlichkeit zu beschäftigen.  >>>

Diese subjektive oder moralische Freiheit ist es vornehmlich, welche im europäischen Sinne Freiheit heißt.”
(Phänomenologie u..Enzyklopädie - Hegel: Moral - Moralität - Geist - Selbstbestimmung >>>)

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