“Ferner muß nun aber auch gesagt werden, daß, so wie einerseits alle Gründe zureichen, ebenso andererseits kein Grund als solcher zureicht, und zwar um deswillen, weil, wie oben bereits bemerkt wurde, der Grund noch keinen an und für sich bestimmten Inhalt hat und somit nicht selbsttätig und hervorbringend ist. Als solcher an und für sich bestimmter und somit selbsttätiger Inhalt wird sich uns demnächst der Begriff ergeben, und dieser ist es, um den es sich bei Leibniz handelt, wenn derselbe vom zureichenden Grunde spricht und darauf dringt, die Dinge unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Leibniz hat dabei zunächst die noch heutzutage bei vielen so beliebte, bloß mechanische Auffassungsweise vor Augen, welche er mit Recht für unzureichend erklärt. So ist es z. B. eine bloß mechanische Auffassung, wenn der organische Prozeß des Blutumlaufs bloß auf die Kontraktion des Herzens zurückgeführt wird, und ebenso mechanisch sind jene Strafrechtstheorien, welche die Unschädlichmachung, die Abschreckung oder andere dergleichen äußerliche Gründe als Zweck der Strafe betrachten. Man tut Leibniz in der Tat sehr Unrecht, wenn man meint, daß derselbe sich mit etwas so Dürftigem, wie dies das formelle Denkgesetz vom Grunde ist, begnügt habe. Die von ihm geltend gemachte Betrachtungsweise ist gerade das Gegenteil von jenem Formalismus, der, wo es sich um ein begreifendes Erkennen handelt, es mit bloßen Gründen sein Bewenden haben läßt. Leibniz stellt in dieser Hinsicht causas effizientes und causas finales einander gegenüber und macht die Forderung, nicht bei den ersteren stehenzubleiben, sondern zu den letzteren hindurchzudringen. Nach diesem Unterschied würden z. B. Licht, Wärme, Feuchtigkeit zwar als causae efficientes, nicht aber als causa finalis des Wachstums der Pflanzen zu betrachten sein, welche causa finalis dann eben nichts anderes ist als der Begriff der Pflanze selbst. - Es kann hier noch bemerkt werden, daß das Stehenbleiben bei bloßen Gründen, namentlich auf dem Gebiet des Rechtlichen und Sittlichen, überhaupt der Standpunkt und das Prinzip der Sophisten ist. Wenn von Sophistik gesprochen wird, so pflegt man darunter häufig bloß eine solche Betrachtungsweise zu verstehen, bei welcher es darum zu tun ist, das Rechte und das Wahre zu verdrehen und überhaupt die Dinge in einem falschen Lichte darzustellen. Diese Tendenz liegt indes nicht unmittelbar in der Sophistik, deren Standpunkt zunächst kein anderer als der des Räsonnements ist. Die Sophisten sind bei den Griechen aufgetreten zu einer Zeit, als diesen auf dem religiösen und auf dem sittlichen Gebiet die bloße Autorität und das Herkommen nicht mehr genügte und sie das Bedürfnis empfanden, sich dessen, was ihnen gelten sollte, als eines durch das Denken vermittelten Inhalts bewußt zu werden. Dieser Forderung sind die Sophisten dadurch entgegengekommen, daß sie Anweisung dazu erteilten, die verschiedenen Gesichtspunkte aufzusuchen, unter denen sich die Dinge betrachten lassen, welche verschiedenen Gesichtspunkte dann zunächst eben nichts anderes als Gründe sind. Da nun, wie vorher bemerkt wurde, der Grund noch keinen an und für sich bestimmten Inhalt hat und für das Unsittliche und Widerrechtliche nicht minder als für das Sittliche und Rechtliche Gründe aufzufinden sind, so fällt die Entscheidung darüber, welche Gründe gelten sollen, in das Subjekt, und es kommt auf dessen individuelle Gesinnung und Absichten an, wofür dasselbe sich entscheidet. Hiermit ist dann der objektive Boden des an und für sich Gültigen, von allen Anerkannten untergraben, und diese negative Seite der Sophistik ist es, welche dieselbe verdientermaßen in den vorher erwähnten üblen Ruf gebracht hat. Sokrates hat bekanntlich die Sophisten überall bekämpft, jedoch nicht dadurch, daß er dem Räsonnement derselben nur ohne weiteres die Autorität und das Herkommen entgegengestellt, sondern vielmehr dadurch, daß er die Haltlosigkeit der bloßen Gründe dialektisch aufgezeigt und dagegen das Gerechte und das Gute, überhaupt das Allgemeine oder den Begriff des Willens geltend gemacht hat. Wenn heutzutage nicht nur in Erörterungen über weltliche Dinge, sondern auch in Predigten oft vorzugsweise nur räsonierend zu Werke gegangen wird und so z. B. alle möglichen Gründe zur Dankbarkeit gegen Gott beigebracht werden, so würden Sokrates und ebenso Platon keinen Anstand genommen haben, dergleichen für Sophisterei zu erklären, da es, wie gesagt, bei dieser zunächst nicht um den Inhalt zu tun ist, welcher immerhin der wahrhafte sein kann, sondern um die Form der Gründe, durch welche alles verteidigt, aber auch alles angegriffen werden kann...”
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