“...Gott, das Wesen der Welt und des Geistes sei ein Unbegreifliches, Unfaßbares; der Geist müsse bei der Religion stehenbleiben und die Religion beim Glauben, Gefühl und Ahnen, ohne vernünftiges Wissen, das Erkennen betreffe nicht die Natur des Absoluten, Gottes, und dessen, was in Natur und Geist wahr und absolut ist, sondern vielmehr allein teils nur das Negative, daß nichts Wahres erkannt, sondern daß allein Unwahres, Zeitliches und Vergängliches gleichsam den Vorzug genieße, erkannt zu werden, - teils, was eigentlich darunter gehört, das Äußerliche, nämlich das Historische, die zufälligen Umstände, unter denen das angebliche, vermeintliche Erkennen erschienen ist, und ebensolche Erkenntnis sei nur als etwas Historisches zu nehmen und nach jenen äußerlichen Seiten kritisch und gelehrt zu untersuchen; aus seinem Inhalte könne kein Ernst gemacht werden. Sie sind so weit gekommen als Pilatus, der Römische Prokonsul; wie er Christus das Wort Wahrheit nennen hörte, erwiderte er dies mit der Frage: Was ist Wahrheit? - in dem Sinne als einer, der mit solchem Worte fertig sei und wisse, daß es keine Erkenntnis der Wahrheit gebe. So ist das, was von jeher für das Schmählichste, Unwürdigste gegolten hat, der Erkenntnis der Wahrheit entsagen, von unseren Zeiten zum höchsten Triumphe des Geistes erhoben worden. Die Verzweiflung an der Vernunft war, wie es bis zu ihr gekommen war, noch mit Schmerz und Wehmut verknüpft; aber bald hat der religiöse und sittliche Leichtsinn, und dann die Plattheit und Seichtigkeit des Wissens, welche sich Aufklärung nannte, frank und frei seine Ohnmacht bekannt und seinen Hochmut in das gründliche Vergessen höherer Interessen gelegt; - und zuletzt hat die sogenannte kritische Philosophie diesem Nichtwissen des Ewigen und Göttlichen ein gutes Gewissen gemacht, indem sie nämlich versichert hat, bewiesen zu haben, daß vom Ewigen und Göttlichen, vom Wahren nichts gewußt werden ; diese vermeinte Erkenntnis hat sich sogar den Namen Philosophie angemaßt, und nichts ist der Seichtigkeit des Wissens sowohl als des Charakters willkommener gewesen, nichts so willkommen von ihr ergriffen worden als diese Lehre, wodurch eben diese Unwissenheit, diese Seichtigkeit und Schalheit für das Vortreffliche, für das Ziel und Resultat alles intellektuellen Strebens ausgegeben worden ist.
(Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse / ... / Anhang / Konzept der Rede beim Antritt des philosophischen Lehramtes an der Universität Berlin (Einleitung zur Enzyklopädie-Vorlesung) 22. Okt. 1818
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