γ. Die Weltgeschichte
§ 552
.......Es ist nur für eine Torheit neuerer Zeit zu achten, ein System verdorbener Sittlichkeit, deren Staatsverfassung und Gesetzgebung ohne Veränderung der Religion umzuändern, eine Revolution ohne eine Reformation gemacht zu haben, zu meinen, mit der alten Religion und ihren Heiligkeiten könne eine ihr entgegengesetzte Staatsverfassung Ruhe und Harmonie in sich haben und durch äußere Garantien - z. B. sogenannte Kammern und die ihnen gegebene Gewalt, den Finanzetat zu bestimmen (vgl. § 544 Anm.) u. dgl. - den Gesetzen Stabilität verschafft werden. Es ist für nicht mehr als für eine Nothilfe anzusehen, die Rechte und Gesetze von der Religion trennen zu wollen, bei vorhandener Ohnmacht, in die Tiefen des religiösen Geistes hinabzusteigen und ihn selbst zu seiner Wahrheit zu erheben. Jene Garantien sind morsche Stützen gegen die Gewissen der Subjekte, welche die Gesetze, und darunter gehören die Garantien selbst, handhaben sollen; es ist dies vielmehr der höchste, der unheiligste Widerspruch, das religiöse Gewissen, dem die weltliche Gesetzgebung ein Unheiliges ist, an diese binden und ihr unterwerfen zu wollen.
In Platon war die Erkenntnis über die Entzweiung bestimmter aufgegangen, die zu seiner Zeit zwischen der vorhandenen Religion und der Staatsverfassung einerseits und andererseits den tieferen Anforderungen eingetreten war, welche die ihrer Innerlichkeit nun bewußt werdende Freiheit an die Religion und den politischen Zustand machte. Platon faßt den Gedanken, daß wahrhafte Verfassung und Staatsleben auf die Idee, auf die an und für sich allgemeinen und wahrhaften Prinzipien der ewigen Gerechtigkeit tiefer begründet sei. Diese zu wissen und zu erkennen ist allerdings Bestimmung und Geschäft der Philosophie. Von diesem Gesichtspunkte her bricht Platon in die berühmte oder berüchtigte Stelle 1) aus, worin er den Sokrates es sehr emphatisch aussprechen läßt, daß Philosophie und Staatsmacht in eines zusammenfallen müssen, die Idee die Regentin sein müsse, wenn das Unglück der Völker ein Ende sehen soll. Platon hatte dabei die bestimmte Vorstellung, daß die Idee, welche freilich an sich der freie sich bestimmende Gedanke ist, auch nur in Form des Gedankens zum Bewußtseyn kommen könne; als ein Gehalt, welcher, um wahr zu sein, zur Allgemeinheit herausgehoben und in deren abstraktester Form zum Bewußtseyn gebracht werden müsse. Um den Platonischen Standpunkt in vollständiger Bestimmtheit mit dem Gesichtspunkte zu vergleichen, in welchem hier der Staat in Beziehung auf Religion betrachtet wird, so ist an die Begriffsunterschiede zu erinnern, auf die es hier wesentlich ankommt. Der erste besteht darin, daß in den natürlichen Dingen die Substanz derselben, die Gattung, verschieden ist von ihrer Existenz, in welcher sie als Subjekt ist; diese subjektive Existenz der Gattung ist aber ferner von derjenigen unterschieden, welche die Gattung oder überhaupt das Allgemeine, als solches für sich herausgehoben, in dem Vorstellenden, Denkenden bekommt. Diese weitere Individualität, der Boden der freien Existenz der allgemeinen Substanz, ist das Selbst des denkenden Geistes. Der Gehalt der natürlichen Dinge erhält die Form der Allgemeinheit und Wesentlichkeit nicht durch sich, und ihre Individualität ist nicht selbst die Form, welche nur das subjektive Denken für sich ist und jenem allgemeinen Gehalte in der Philosophie Existenz für sich gibt. Der menschliche Gehalt hingegen ist der freie Geist selbst und kommt in seinem Selbstbewußtseyn zur Existenz.
Dieser absolute Gehalt, der in sich konkrete Geist ist eben dies, die Form, das Denken, selbst zu seinem Inhalte zu haben; zu der Höhe des denkenden Bewußtseyns dieser Bestimmung hat sich Aristoteles in seinem Begriffe der Entelechie des Denkens, welches νόησsις τtης νοήσsεeως ist 2), über die Platonische Idee (die Gattung, das Substantielle) emporgehoben. Das Denken aber überhaupt enthält, und zwar um der angegebenen Bestimmung selbst willen, ebenso das unmittelbare Fürsichseyn der Subjektivität als die Allgemeinheit, und die wahrhafte Idee des in sich konkreten Geistes ist ebenso wesentlich in der einen seiner Bestimmungen, des subjektiven Bewußtseyns, wie in der andern, der Allgemeinheit, und ist in der einen wie in der andern derselbe substantielle Inhalt.
Zu jener Form aber gehört Gefühl, Anschauung, Vorstellung, und es ist vielmehr notwendig, daß das Bewußtseyn der absoluten Idee der Zeit nach zuerst in dieser Gestalt gefaßt werde und als Religion in seiner unmittelbaren Wirklichkeit früher da sei denn als Philosophie. Diese entwickelt sich nur erst wieder aus jener Grundlage, so gut als die griechische Philosophie später ist als die griechische Religion und eben nur darin ihre Vollendung erreicht hat, das Prinzip des Geistes, der sich zuerst in der Religion manifestiert, in seiner ganzen bestimmten Wesenheit zu fassen und zu begreifen. Aber die griechische Philosophie konnte sich ihrer Religion nur entgegengesetzt aufstellen und die Einheit des Gedankens und die Substantialität der Idee sich gegen die Vielgötterei der Phantasie, die heitere und frivole Scherzhaftigkeit dieses Dichtens, nur feindlich verhalten.
Die Form in ihrer unendlichen Wahrheit, die Subjektivität des Geistes, brach nur erst als subjektives freies Denken hervor, das noch nicht mit der Substantialität selbst identisch, diese hiermit noch nicht als absoluter Geist gefaßt war. So konnte die Religion nur erst durch das reine, für sich seiende Denken, durch die Philosophie gereinigt erscheinen; aber die dem Substantiellen immanente Form, welche von ihr bekämpft wurde, war jene dichtende Phantasie. Der Staat, der sich auf gleiche Weise, aber früher als die Philosophie, aus der Religion entwickelt, stellt die Einseitigkeit, welche seine an sich wahrhafte Idee an ihr hat, in der Wirklichkeit als Verdorbenheit dar.
Platon, gemeinschaftlich mit allen seinen denkenden Zeitgenossen, diese Verdorbenheit der Demokratie und die Mangelhaftigkeit selbst ihres Prinzips erkennend, hob das Substantielle hervor, vermochte aber nicht seiner Idee des Staats die unendliche Form der Subjektivität einzubilden, die noch vor seinem Geiste verborgen war; sein Staat ist deswegen an ihm selbst ohne die subjektive Freiheit (§ 503 Anm., 513 usf.). Die Wahrheit, welche dem Staate inwohnen, ihn verfassen und beherrschen sollte, faßt er darum nur in der Form der gedachten Wahrheit, der Philosophie, und tat so jenen Ausspruch, daß, solange nicht die Philosophen in den Staaten regieren oder die jetzt Könige und Herrscher genannt werden, nicht gründlich und umfassend philosophieren werden, so lange werde dem Staate keine Befreiung von den Übeln werden noch dem menschlichen Geschlechte; solange könne die Idee seiner Staatsverfassung nicht zur Möglichkeit gedeihen und das Licht der Sonne sehen.3)
Platon war es nicht verliehen, dahin fortgehen zu können, zu sagen, daß, solange nicht die wahrhafte Religion in der Welt hervortritt und in den Staaten herrschend wird, so lange ist nicht das wahrhafte Prinzip des Staates in die Wirklichkeit gekommen. So lange aber konnte dies Prinzip auch nicht in den Gedanken kommen, von diesem nicht die wahrhafte Idee des Staates erfaßt werden, - der substantiellen Sittlichkeit, mit welcher die Freiheit des für sich seienden Selbstbewußtseyns identisch ist. Nur in dem Prinzipe des sein Wesen wissenden, des an sich absolut freien und in der Tätigkeit seines Befreiens seine Wirklichkeit habenden Geistes ist die absolute Möglichkeit und Nothwendigkeit vorhanden, daß Staatsmacht, Religion und die Prinzipien der Philosophie in eins zusammenfallen, die Versöhnung der Wirklichkeit überhaupt mit dem Geiste, des Staats mit dem religiösen Gewissen, ingleichen dem philosophischen Wissen sich vollbringt.
Indem die fürsichseyende Subjektivität absolut identisch ist mit der substantiellen Allgemeinheit, enthält die Religion als solche wie der Staat als solcher, als Formen, in denen das Prinzip existiert, in ihnen die absolute Wahrheit, so daß diese, indem sie als Philosophie ist, selbst nur in einer ihrer Formen ist. Aber indem auch die Religion in der Entwicklung ihrer selbst die in der Idee enthaltenen Unterschiede (§ 566 ff.) entwickelt, so kann, ja muß das Daseyn in seiner ersten unmittelbaren, d. h. selbst einseitigen Weise erscheinen und ihre Existenz zu sinnlicher Äußerlichkeit und damit weiterhin zur Unterdrückung der Freiheit des Geistes und zur Verkehrtheit des politischen Lebens verdorben werden. Aber das Prinzip enthält die unendliche Elastizität der absoluten Form, dies Verderben ihrer Formbestimmungen und des Inhalts durch dieselben zu überwinden und die Versöhnung des Geistes in ihm selbst zu bewirken.
So wird zuletzt das Prinzip des religiösen und des sittlichen Gewissens ein und dasselbe in dem protestantischen Gewissen, - der freie Geist in seiner Vernünftigkeit und Wahrheit sich wissend. Die Verfassung und Gesetzgebung wie deren Betätigungen haben zu ihrem Inhalt das Prinzip und die Entwicklung der Sittlichkeit, welche aus der zu ihrem ursprünglichen Prinzip hergestellten und damit erst als solcher wirklichen Wahrheit der Religion hervorgeht und daraus allein hervorgehen kann. Die Sittlichkeit des Staates und die religiöse Geistigkeit des Staates sind sich so die gegenseitigen festen Garantien.
1) Politeia, Steph. 473
2) Metaphysik XII, 9, 1074 b 34
3) Politeia, Steph. 473
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