Die Lust und die Notwendigkeit >>>
Es verachtet Verstand und Wissenschaft des Menschen allerhöchste Gaben - es hat dem Teufel sich ergeben und muß zugrunde gehn.
Es stürzt also ins Leben, und bringt die reine Individualität, in welcher es auftritt, zur Ausführung. Es macht sich weniger sein Glück, als daß es dasselbige unmittelbar nimmt und genießt. Die Schatten von Wissenschaft, Gesetzen und Grundsätzen, die allein zwischen ihm und seiner eignen Wirklichkeit stehen, verschwinden, als ein lebloser Nebel, der es nicht mit der Gewißheit seiner Realität aufnehmen kann; es nimmt sich das Leben, wie eine reife Frucht gepflückt wird, welche ebensosehr selbst entgegen kommt, als sie genommen wird. ...
Sein Tun ist nur nach einem Momente ein Tun der Begierde; es geht nicht auf die Vertilgung des ganzen gegenständlichen Wesens, sondern nur auf die Form seines Andersseins oder seiner Selbstständigkeit, die ein wesenloser Schein ist; denn an sich gilt es ihm für dasselbe Wesen, oder als seine Selbstheit. ...
Die nur einzelne Individualität, die nur erst den reinen Begriff der Vernunft zu ihrem Inhalte hat, statt aus der toten Theorie in das Leben sich gestürzt zu haben, hat sich also vielmehr nur in das Bewußtsein der eignen Leblosigkeit gestürzt, und wird sich nur als die leere und fremde Notwendigkeit, als die tote Wirklichkeit zuteil. ...
- Indem es als Bewußtsein die Einheit seiner selbst und seines Gegenteils ist, ist dieser Untergang noch für es; sein Zweck und seine Verwirklichung, sowie der Widerspruch dessen, was ihm das Wesen war, und was an sich das Wesen ist; - es erfährt den Doppelsinn, der in dem liegt, was es tat, nämlich sein Leben sich genommen zu haben; es nahm das Leben, aber vielmehr ergriff es damit den Tod. ...
Die abstrakte Notwendigkeit gilt also für die nur negative, unbegriffene Macht der Allgemeinheit, an welcher die Individualität zerschmettert wird. ... >>>
Georg Wilhelm Friedrich Hegel Phänomenologie des Geistes (1807)
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