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                                                                                                                                manfred herok    2014

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...  zersplittert, zerstückelt, vereinzelt, abgesondert, ohne den notwendigen Zusammenhang in ihm selbst ...

Die Philosophie überhaupt hat als Philosophie andere Kategorien als das gewöhnliche Bewußtsein;
alle Bildung reduziert sich auf den Unterschied der Kategorien.
Alle Revolutionen, in den Wissenschaften nicht weniger als in der Weltgeschichte, kommen nur daher, daß der Geist jetzt zum Verstehen und Vernehmen seiner, um sich zu besitzen, seine Kategorien geändert hat, sich wahrhafter, tiefer, sich inniger und einiger mit sich erfassend. Das Ungenügende nun der physikalischen Denkbestimmungen läßt sich auf zwei Punkte zurückführen, die aufs engste zusammenhängen.
α) Das Allgemeine der Physik ist abstrakt oder nur formell; es hat seine Bestimmung nicht an ihm selbst oder geht nicht zur Besonderheit über.
β) Der bestimmte Inhalt ist eben deswegen außer dem Allgemeinen, damit zersplittert, zerstückelt, vereinzelt, abgesondert, ohne den notwendigen Zusammenhang in ihm selbst, eben darum nur als endlicher.
Haben wir z. B. eine Blume, so bemerkt der Verstand ihre einzelnen Qualitäten; die Chemie zerreißt und analysiert sie.
Wir unterscheiden so Farbe, Gestalt der Blätter, Zitronensäure, ätherisches Öl, Kohlenstoff, Wasserstoff usw.;
nun sagen wir, die Blume besteht aus allen diesen Teilen.

Encheiresin naturae nennt's die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiss nicht wie.
Hat die Teile in ihrer Hand,
Fehlt leider nur das geistige Band,                                                                                            [<<<Analyse]

wie Goethe sagt. 1)
Der Geist kann nicht bei dieser Weise der Verstandesreflexion stehenbleiben; und man hat zwei Wege, darüber hinauszugehen.
α) Der unbefangene Geist, wenn er lebendig die Natur anschaut, wie wir  dies häufig bei Goethe auf eine sinnige Weise geltend gemacht finden, so fühlt er das Leben und den allgemeinen Zusammenhang in derselben: er  ahnt das Universum als ein organisches Ganzes und eine vernünftige  Totalität, ebenso als er im einzelnen Lebendigen eine innige Einheit in  ihm selbst empfindet; bringen wir aber auch alle jene Ingredienzien der  Blume zusammen, so kommt doch keine Blume heraus.
So hat man in der  Naturphilosophie die Anschauung zurückgerufen und sie über die Reflexion gesetzt; aber das ist ein Abweg, denn aus der Anschauung kann man nicht philosophieren.
β) Die Anschauung muss auch gedacht werden, jenes  Zerstückelte zur einfachen Allgemeinheit denkend zurückgebracht werden;  diese gedachte Einheit ist der Begriff, welcher die bestimmten  Unterschiede, aber als eine sich in sich selbst bewegende Einheit hat.
Der philosophischen Allgemeinheit sind die Bestimmungen nicht gleichgültig; sie ist die sich selbst erfüllende Allgemeinheit, die in ihrer  diamantenen Identität zugleich den Unterschied in sich enthält.
Das  wahrhaft Unendliche ist die Einheit seiner selbst und des Endlichen; und das ist nun die Kategorie der Philosophie und daher auch der  Naturphilosophie. Wenn die Gattungen und Kräfte das Innere der Natur  sind und gegen dies Allgemeine das äussere und Einzelne das  Verschwindende ist, so fordert man noch als dritte Stufe das Innere des  Innern, welches nach dem Vorhergehenden die Einheit des Allgemeinen und  Besonderen wäre.

"Ins Innre der Natur",
O du Philister! -
"Dringt kein erschaffner Geist."
Mich und Geschwister
Mögt ihr an solches Wort
Nur nicht erinnern!
Wir denken: Ort für Ort
Sind wir im Innern.
"Glückselig, wem sie nur
Die äussre Schale weist
!"
Das hör ich sechzig Jahre wiederholen,
Ich fluche drauf, aber verstohlen;
Sage mir tausend tausendmale:
Alles gibt sie reichlich und gern;
Natur hat weder Kern
Noch Schale,
Alles ist sie mit einem Male;
Dich prüfe du nur allermeist,
Ob du Kern oder Schale seist. 2)

Mit dem Erfassen dieses Innern ist die Einseitigkeit des theoretischen und  praktischen Verhaltens aufgehoben und zugleich beiden Bestimmungen  Genüge geleistet. Jenes enthält eine Allgemeinheit ohne Bestimmtheit,  dieses eine Einzelheit ohne Allgemeines;
das begreifende Erkennen ist  die Mitte, in welcher die Allgemeinheit nicht ein Diesseits in mir gegen die Einzelheit der Gegenstände bleibt, sondern indem es sich negativ  gegen die Dinge verhält und sich dieselben assimiliert, findet es die  Einzelheit ebenso darin, lässt die Dinge gewähren und sich frei in sich  bestimmen.
Das begreifende Erkennen ist so die Einheit des theoretischen und praktischen Verhaltens: die Negation der Einzelheit ist als  Negation des Negativen die affirmative Allgemeinheit, die den  Bestimmungen Bestehen gibt; denn die wahrhafte Einzelheit ist zugleich  Allgemeinheit in sich selbst.
Was die Einwendungen betrifft, die gegen diesen Standpunkt gemacht werden können, so ist die nächste, dass gefragt werden  kann: Wie kommt das Allgemeine dazu, sich  selbst zu bestimmen?
Wie kommt das Unendliche heraus zur Endlichkeit? In konkreter Gestalt ist die Frage die:
Wie ist Gott dazu gekommen, die Welt zu schaffen?
Man stellt sich zwar vor, Gott wäre ein Subjekt, eine Wirklichkeit für sich, fern von der Welt;
aber solche abstrakte Unendlichkeit, solche Allgemeinheit, die ausserhalb des Besonderen wäre, wäre selbst nur die eine Seite, somit selbst ein Besonderes, Endliches.
Es ist die Bewusstlosigkeit des Verstandes, gerade die Bestimmung  aufzuheben, die er setzt, und also das Gegenteil von dem zu tun, was er  will; das Besondere sollte vom Allgemeinen getrennt sein; gerade ist  aber das Besondere dadurch im Allgemeinen gesetzt und somit nur die  Einheit des Allgemeinen und Besonderen vorhanden. Gott hat zweierlei  Offenbarungen, als Natur und als Geist; beide Gestaltungen Gottes sind  Tempel desselben, die er erfüllt und in denen er gegenwärtig ist. Gott  als ein Abstraktum ist nicht der wahrhafte Gott, sondern nur als der  lebendige Prozess, sein Anderes, die Welt zu setzen, welches, in  göttlicher Form gefasst, sein Sohn ist; und erst in der Einheit mit  seinem Anderen, im Geist, ist Gott Subjekt.
 

1) Faust, I. Teil, Studierzimmer, V. 1940-41 u. 1938-39

2) Goethe, Zur Morphologie, 1 Bd., 3. Heft, Stuttgart u. Tübingen 1820, S. 304; unter dem Titel "Allerdings" und dem Untertitel "Dem Physiker" in  die Gedichtsammlung "Gott und Welt" aufgenommen.

 

http://texte.phil-splitter.com/html/betrachtungsweisen_der_natur.html#d1    

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