Die Reformation
Die Reformation ist aus dem Verderben der Kirche hervorgegangen. Das Verderben der Kirche ist nicht zufällig, nicht nur Mißbrauch der Gewalt und Herrschaft. Mißbrauch ist die sehr gewöhnliche Weise, ein Verderben zu benennen; es wird vorausgesetzt, daß die Grundlage gut, die Sache selbst mangellos, aber die Leidenschaften, subjektiven Interessen, überhaupt der zufällige Wille der Menschen jenes Gute als ein Mittel für sich gebraucht habe und daß es um nichts zu tun sei, als diese Zufälligkeiten zu entfernen. In solcher Vorstellung wird die Sache gerettet und das Übel als ein ihr nur Äußerliches genommen. Aber wenn eine Sache auf eine zufällige Weise mißbraucht wird, so ist dies nur im einzelnen, aber etwas ganz anderes ist ein allgemeines großes Übel in einer so großen und allgemeinen Sache, als eine Kirche ist. - Das Verderben der Kirche hat sich aus ihr selbst entwickelt; es hat eben sein Prinzip darin, daß das Dieses als ein Sinnliches in ihr, daß das Äußerliche, als ein solches, innerhalb ihrer selbst sich befindet. (Die Verklärung desselben durch die Kunst ist nicht hinreichend.) Der höhere, der Weltgeist hat das Geistige aus ihr bereits ausgeschlossen; sie nimmt keinen Teil daran und an der Beschäftigung mit demselben; sie behält so das Dieses an ihr; - es ist die sinnliche Subjektivität, die unmittelbare, welche nicht von ihr zur geistigen verklärt ist. - Von jetzt an tritt sie hinter den Weltgeist zurück; er ist schon über sie hinaus, denn er ist dazu gekommen, das Sinnliche als Sinnliches, das Äußerliche als Äußerliches zu wissen, in dem Endlichen auf endliche Weise sich zu betätigen und eben in dieser Tätigkeit als eine gleichgültige, berechtigte Subjektivität bei sich selbst zu sein.
>>>
G.W.F. Hegel Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte Erstes Kapitel. Die Reformation
|