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G.W.F.HEGEL: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Kontext >>>
A. Erste Stellung des Gedankens zur Objektivität. Metaphysik
§ 26
Die erste Stellung ist das unbefangene Verfahren, welches, noch ohne das Bewußtseyn des Gegensatzes des Denkens in und gegen sich, den Glauben enthält, daß durch das Nachdenken die Wahrheit erkannt, das, was die Objekte wahrhaft sind, vor das Bewußtseyn gebracht werde. In diesem Glauben geht das Denken geradezu an die Gegenstände, reproduziert den Inhalt der Empfindungen und Anschauungen aus sich zu einem Inhalte des Gedankens und ist in solchem als der Wahrheit befriedigt. Alle anfängliche Philosophie, alle Wissenschaften, ja selbst das tägliche Tun und Treiben des Bewußtseyns lebt in diesem Glauben.
§ 27
Dieses Denken kann wegen der Bewußtlosigkeit über seinen Gegensatz ebensowohl seinem Gehalte nach echtes spekulatives Philosophieren sein, als auch in endlichen Denkbestimmungen, d. i. in dem noch unaufgelösten Gegensatze verweilen. Hier in der Einleitung kann es nur das Interesse sein, diese Stellung des Denkens nach seiner Grenze zu betrachten und daher das letztere Philosophieren zunächst vorzunehmen. - Dieses in seiner bestimmtesten und uns am nächsten liegenden Ausbildung war die vormalige Metaphysik, wie sie vor der Kantischen Philosophie bei uns beschaffen war. Diese Metaphysik ist jedoch nur in Beziehung auf die Geschichte der Philosophie etwas Vormaliges; für sich ist sie überhaupt immer vorhanden, die bloße Verstandesansicht der Vernunftgegenstände. Die nähere Betrachtung ihrer Manier und ihres Hauptinhaltes hat daher zugleich dies nähere präsente Interesse.
§ 28
Diese Wissenschaft betrachtete die Denkbestimmungen als die Grundbestimmungen der Dinge; sie stand durch diese Voraussetzung, daß das, was ist, damit daß es gedacht wird, an sich erkannt werde, höher als das spätere kritische Philosophieren. Aber 1. wurden jene Bestimmungen in ihrer Abstraktion als für sich geltend und als fähig genommen, Prädikate des Wahren zu sein. Jene Metaphysik setzte überhaupt voraus, daß die Erkenntnis des Absoluten in der Weise geschehen könne, daß ihm Prädikate beigelegt werden, und untersuchte weder die Verstandesbestimmungen ihrem eigentümlichen Inhalte und Werte nach, noch auch die Form, das Absolute durch Beilegung von Prädikaten zu bestimmen.
Solche Prädikate sind z. B. Daseyn, wie in dem Satze "Gott hat Daseyn"; Endlichkeit oder Unendlichkeit, in der Frage, ob die Welt endlich oder unendlich ist; einfach, zusammengesetzt, in dem Satze "die Seele ist einfach"; ferner "das Ding ist Eines, ein Ganzes" usf. - Es wurde nicht untersucht, ob solche Prädikate an und für sich etwas Wahres seien, noch ob die Form des Urteils Form der Wahrheit sein könne.
Zusatz. Die Voraussetzung der alten Metaphysik war die des unbefangenen Glaubens überhaupt, daß das Denken das Ansich der Dinge erfasse, daß die Dinge, was sie wahrhaft sind, nur als gedachte sind. Das Gemüt des Menschen und die Natur sind der sich stets verwandelnde Proteus, und es ist eine sehr naheliegende Reflexion, daß die Dinge, wie sie sich unmittelbar präsentieren, nicht an sich sind. - Der hier erwähnte Standpunkt der alten Metaphysik ist das Gegenteil dessen, was die kritische Philosophie zum Resultat hatte. Man kann wohl sagen, daß nach diesem Resultat der Mensch bloß auf Spreu und Treber würde angewiesen sein. Was nun aber näher das Verfahren jener alten Metaphysik anbetrifft, so ist darüber zu bemerken, daß dieselbe nicht über das bloß verständige Denken hinausging. Sie nahm die abstrakten Denkbestimmungen unmittelbar auf und ließ dieselben dafür gelten, Prädikate des Wahren zu sein. Wenn vom Denken die Rede ist, so muß man das endliche, bloß verständige Denken vom unendlichen, vernünftigen unterscheiden. Die Denkbestimmungen, so wie sie sich unmittelbar, vereinzelt vorfinden, sind endliche Bestimmungen. Das Wahre aber ist das in sich Unendliche, welches durch Endliches sich nicht ausdrücken und zum Bewußtseyn bringen läßt. Der Ausdruck unendliches Denken kann als auffallend erscheinen, wenn man die Vorstellung der neueren Zeit, als sei das Denken immer beschränkt, festhält. Nun aber ist in der Tat das Denken seinem Wesen nach in sich unendlich. Endlich heißt, formell ausgedrückt, dasjenige, was ein Ende hat, was ist, aber da aufhört, wo es mit seinem Anderen zusammenhängt und somit durch dieses beschränkt wird. Das Endliche besteht also in Beziehung auf sein Anderes, welches seine Negation ist und sich als dessen Grenze darstellt. Das Denken aber ist bei sich selbst, verhält sich zu sich selbst und hat sich selbst zum Gegenstand. Indem ich einen Gedanken zum Gegenstand habe, bin ich bei mir selbst. Ich, das Denken, ist demnach unendlich, darum, weil es sich im Denken zu einem Gegenstand verhält, der es selbst ist. Gegenstand überhaupt ist ein Anderes, ein Negatives gegen mich. Denkt das Denken sich selbst, so hat es einen Gegenstand, der zugleich keiner ist, d. h. ein aufgehobener, ideeller. Das Denken als solches, in seiner Reinheit, hat also keine Schranke in sich. Endlich ist das Denken nur, insofern es bei beschränkten Bestimmungen stehenbleibt, die demselben als ein Letztes gelten. Das unendliche oder spekulative Denken dagegen bestimmt gleichfalls, aber bestimmend, begrenzend, hebt es diesen Mangel wieder auf. Die Unendlichkeit ist nicht wie in der gewöhnlichen Vorstellung als ein abstraktes Hinaus und Immer-weiter-Hinaus aufzufassen, sondern in der einfachen Weise, wie solches vorher angegeben wurde. Das Denken der alten Metaphysik war endliches Denken, denn dieselbe bewegte sich in solchen Denkbestimmungen, deren Schranke ihr als etwas Festes galt, welches nicht wieder negiert wurde. So wurde z. B. gefragt: hat Gott Daseyn?, und das Daseyn wurde hierbei als ein rein Positives, als ein Letztes und Vortreffliches betrachtet. Wir werden aber später sehen, daß Daseyn keineswegs ein bloß Positives ist, sondern eine Bestimmung, die zu niedrig für die Idee und Gottes nicht würdig ist. - Man fragte ferner nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt. Hier wird die Unendlichkeit der Endlichkeit fest gegenübergestellt, und es ist doch leicht einzusehen, daß, wenn beide einander gegenübergestellt werden, die Unendlichkeit, die doch das Ganze sein soll, nur als eine Seite erscheint und durch das Endliche begrenzt ist. - Eine begrenzte Unendlichkeit ist aber selbst nur ein Endliches. In demselben Sinn hat man gefragt, ob die Seele einfach oder zusammengesetzt sei. Also auch die Einfachheit galt als eine letzte Bestimmung, fähig, das Wahre zu fassen. Einfach ist aber eine so arme, abstrakte und einseitige Bestimmung wie Daseyn, eine Beistimmung, von welcher wir später sehen werden, daß dieselbe als selbst unwahr, unfähig ist, das Wahre zu fassen. Wird die Seele nur als einfach betrachtet, so wird sie durch solche Abstraktion als einseitig und endlich bestimmt. Die alte Metaphysik hatte also das Interesse, zu erkennen, ob Prädikate der erwähnten Art ihren Gegenständen beizulegen seien. Diese Prädikate aber sind beschränkte Verstandesbestimmungen, die nur eine Schranke, aber nicht das Wahre ausdrücken. - Hierbei ist dann besonders noch zu bemerken, wie das Verfahren darin bestand, daß dem zu erkennenden Gegenstand, z. B. Gott, Prädikate beigelegt worden. Dies ist dann aber äußerliche Reflexion über den Gegenstand, denn die Bestimmungen (die Prädikate) sind in meiner Vorstellung fertig und werden dem Gegenstand nur äußerlich beigelegt. Dahingegen muß die wahrhafte Erkenntnis eines Gegenstandes von der Art sein, daß derselbe sich aus sich selbst bestimmt und seine Prädikate äußerlich erhält. Verfährt man nun in der Weise des Prädizierens, so hat der Geist dabei das Gefühl der Unerschöpflichkeit solche Prädikate. Die Orientalen nennen demnach auf diesem Standpunkt ganz richtig Gott den Vielnamigen, den Unendlichnamigen. Das Gemüt befriedigt sich in keiner jener endlichen Bestimmungen, und die orientalische Erkenntnis besteht demnach in einem rastlosen Aufsuchen solcher Prädikate. Bei den endlichen Dingen ist es nun allerdings der Fall, daß dieselben durch endliche Prädikate bestimmt werden müssen, und hier ist der Verstand mit seiner Tätigkeit am rechten Platz. Er, der selbst Endliche, erkennt auch nur die Natur des Endlichen. Nenne ich z. B. eine Handlung einen Diebstahl, so ist dieselbe dadurch ihrem wesentlichen Inhalt nach bestimmt, und dies zu erkennen ist dem Richter genug. Ebenso verhalten sich die endlichen Dinge als Ursache und Wirkung, als Kraft und Äußerung, und indem sie nach diesen Bestimmungen gefaßt werden, so sind sie ihrer Endlichkeit nach erkannt. Aber Vernunftgegenstände können durch solche endliche Prädikate nicht bestimmt werden, und das Bestreben, dies zu tun, war der Mangel der alten Metaphysik.
§ 29
Dergleichen Prädikate sind für sich ein beschränkter Inhalt und zeigen sich schon als der Fülle der Vorstellung (von Gott, Natur, Geist usf.) nicht angemessen und sie keineswegs erschöpfend. Alsdann sind sie dadurch, daß sie Prädikate eines Subjekts seien, miteinander verbunden, durch ihren Inhalt aber verschieden, so daß sie gegeneinander von außen her aufgenommen werden.
Dem ersten Mangel suchten die Orientalen z. B. bei der Bestimmung Gottes durch die vielen Namen, die sie ihm beilegten, abzuhelfen; zugleich aber sollten der Namen unendlich viele sein.
§ 30
2. Ihre Gegenstände waren zwar Totalitäten, welche an und für sich der Vernunft, dem Denken des in sich konkreten Allgemeinen angehören, - Seele, Welt, Gott; aber die Metaphysik nahm sie aus der Vorstellung auf, legte sie als fertige gegebene Subjekte bei der Anwendung der Verstandesbestimmungen darauf zugrunde und hatte nur an jener Vorstellung den Maßstab, ob die Prädikate passend und genügend seien oder nicht.
§ 31
Die Vorstellungen von Seele, Welt, Gott scheinen zunächst dem Denken einen festen Halt zu gewähren. Außerdem aber, daß ihnen der Charakter besonderer Subjektivität beigemischt ist und sie hiernach eine sehr verschiedene Bedeutung haben können, so bedürfen sie es vielmehr, erst durch das Denken die feste Bestimmung zu erhalten. Dies drückt jeder Satz aus, als in welchem erst durch das Prädikat (d. i. in der Philosophie durch die Denkbestimmung) angegeben werden soll, was das Subjekt, d. i. die anfängliche Vorstellung sei.
In dem Satze "Gott ist ewig usf." wird mit der Vorstellung "Gott" angefangen; aber was er ist, wird noch nicht gewußt; erst das Prädikat sagt aus, was er ist. Es ist deswegen im Logischen, wo der Inhalt ganz allein in der Form des Gedankens bestimmt wird, nicht nur überflüssig, diese Bestimmungen zu Prädikaten von Sätzen, deren Subjekt Gott oder das vagere Absolute wäre, zu machen, sondern es würde auch den Nachteil haben, an einem anderen Maßstab, als die Natur des Gedankens selbst ist, zu erinnern. - Ohnehin ist die Form des Satzes oder bestimmter des Urteils ungeschickt, das Konkrete - und das Wahre ist konkret - und Spekulative auszudrücken; das Urteil ist durch seine Form einseitig und insofern falsch.
Zusatz. Diese Metaphysik war kein freies und objektives Denken, da sie das Objekt sich nicht frei aus sich selbst bestimmen ließ, sondern dasselbe als fertig voraussetzte. - Was das freie Denken anbetrifft, so dachte die griechische Philosophie frei, die Scholastik aber nicht, da diese ihren Inhalt gleichfalls als einen gegeben und zwar von der Kirche gegebenen aufnahm. - Wir Modernen sind durch unsere ganze Bildung in Vorstellungen eingeweiht, welche zu überschreiten höchst schwierig ist, da diese Vorstellungen den tiefsten Inhalt haben. Unter den alten Philosophen müssen wir uns Menschen vorstellen, die ganz in sinnlicher Anschauung stehen und weiter keine Voraussetzung haben als den Himmel droben und die Erde umher, denn die mythologischen Vorstellungen waren auf die Seite geworfen. Der Gedanke ist in dieser sachlichen Umgebung frei und in sich zurückgezogen, frei von allem Stoff, rein bei sich. Dieses reine Beisichseyn gehört zum freien Denken, dem ins Freie Ausschiffen, wo nichts unter uns und über uns ist und wir in der Einsamkeit mit uns allein dastehen.
§ 32
3. Diese Metaphysik wurde Dogmatismus, weil sie nach Natur der endlichen Bestimmungen annehmen mußte, daß von zwei entgegengesetzten Behauptungen, dergleichen jene Sätze waren, die eine wahr, die andere aber falsch sein müsse.
Zusatz. Der Dogmatismus hat zunächst seinen Gegensatz am Skeptizismus. Die alten Skeptiker nannten überhaupt eine jede Philosophie dogmatisch, insofern dieselbe bestimmte Lehrsätze aufstellt. In diesem weiteren Sinne gilt auch die eigentlich spekulative Philosophie dem Skeptizismus für dogmatisch. Das Dogmatische im engeren Sinn besteht dann aber darin, daß einseitige Verstandesbestimmungen mit Ausschluß der entgegengesetzten festgehalten werden. Es ist dies überhaupt das strenge Entweder-Oder, und es heißt demgemäß z. B.: die Welt ist entweder endlich oder unendlich, aber nur eines von beiden. Das Wahrhafte, das Spekulative ist dagegen gerade dieses, welches keine solche einseitige Bestimmung an sich hat und dadurch nicht erschöpft wird, sondern als Totalität diejenigen Bestimmungen in sich vereinigt enthält, welche dem Dogmatismus in ihrer Trennung als ein Festes und Wahres gelten. - Es ist in der Philosophie häufig der Fall, daß die Einseitigkeit sich neben die Totalität stellt mit der Behauptung, ein Besonderes, Festes gegen sie zu sein. In der Tat aber ist das Einseitige nicht ein Festes und für sich Bestehendes, sondern dasselbe ist im Ganzen als aufgehoben enthalten. Der Dogmatismus der Verstandesmetaphysik besteht darin, einseitige Gedankenbestimmungen in ihrer Isolierung festzuhalten, wohingegen der Idealismus der spekulativen Philosophie das Prinzip der Totalität hat und sich als übergreifend über die Einseitigkeit der abstrakten Verstandesbestimmungen erweist. So wird der Idealismus sagen: Die Seele ist weder nur endlich noch nur unendlich, sondern sie ist wesentlich sowohl das eine als auch das andere und hiermit weder das eine noch das andere, d. h. solche Bestimmungen in ihrer Isolierung sind ungültig, und sie gelten nur als aufgehoben. - Auch in unserem gewöhnlichen Bewußtseyn kommt schon der Idealismus vor. Wir sagen demgemäß von den sinnlichen Dingen, sie seien veränderlich, d. h. es komme ihnen das Seyn zu wie das Nichtseyn. - Hartnäckiger sind wir rücksichtlich der Verstandesbestimmungen. Diese, als Denkbestimmungen, gelten für ein Festeres, ja für ein absolut Festes. Wir betrachten dieselben als durch einen unendlichen Abgrund voneinander getrennt, so daß die einander gegenüberstehenden Bestimmungen sich nie zu erreichen vermögen. Der Kampf der Vernunft besteht darin, dasjenige, was der Verstand fixiert hat, zu überwinden.
§ 33
Den ersten Teil dieser Metaphysik in ihrer geordneten Gestalt machte die Ontologie aus - die Lehre von den abstrakten Bestimmungen des Wesens. Für diese in ihrer Mannigfaltigkeit und endlichem Gelten mangelt es an einem Prinzip; sie müssen darum empirisch und zufälligerweise aufgezählt, und ihr näherer Inhalt kann nur auf die Vorstellung, auf die Versicherung, daß man sich bei einem Worte gerade dies denke, etwa auch auf die Etymologie gegründet werden. Es kann dabei bloß um die mit dem Sprachgebrauch übereinstimmende Richtigkeit der Analyse und empirische Vollständigkeit, nicht um die Wahrheit und Nothwendigkeit solcher Bestimmungen an und für sich zu tun sein.
Die Frage, ob Seyn, Daseyn, oder Endlichkeit, Einfachheit, Zusammensetzung usf. an und für sich wahre Begriffe seien, muß auffallend sein, wenn man meint, es könne bloß von der Wahrheit eines Satzes die Rede sein und nur gefragt werden, ob ein Begriff einem Subjekte mit Wahrheit beizulegen sei (wie man es nannte) oder nicht; Unwahrheit hänge von dem Widerspruche ab, der sich zwischen dem Subjekte der Vorstellung und dem von demselben zu prädizierenden Begriffe fände. Allein der Begriff als Konkretes und selbst jede Bestimmtheit überhaupt ist wesentlich in sich selbst eine Einheit unterschiedener Bestimmungen. Wenn die Wahrheit also weiter nichts wäre als der Mangel des Widerspruchs, so müßte bei jedem Begriffe zuerst betrachtet werden, ob er nicht für sich einen solchen inneren Widerspruch enthalte.
§ 34
Der zweite Teil war die rationelle Psychologie oder Pneumatologie, welche die metaphysische Natur der Seele, nämlich des Geistes als eines Dinges betrifft.
Die Unsterblichkeit wurde in der Sphäre aufgesucht, wo Zusammensetzung, Zeit, qualitative Veränderung, quantitatives Zu- oder Abnehmen ihre Stelle haben.
Zusatz. Rationell hieß die Psychologie im Gegensatz der empirischen Betrachtungsweise der Äußerungen der Seele. Die rationelle Psychologie betrachtete die Seele nach ihrer metaphysischen Natur, wie sie bestimmt wird durch das abstrakte Denken. Sie wollte die innere Natur der Seele erkennen, wie sie an sich, wie sie für den Gedanken ist. - Heutzutage wird in der Philosophie wenig von der Seele gesprochen, sondern vornehmlich vom Geist. Der Geist unterscheidet sich von der Seele, welche gleichsam das Mittlere zwischen der Leiblichkeit und dem Geist oder das Band zwischen beiden ist. Der Geist als Seele ist in die Leiblichkeit versenkt, und die Seele ist das Belebende des Körpers. Die alte Metaphysik betrachtete die Seele als Ding. "Ding" aber ist ein sehr zweideutiger Ausdruck. Unter Ding verstehen wir zunächst ein unmittelbar Existierendes, ein solches, das wir uns sinnlich vorstellen, und in diesem Sinn hat man von der Seele gesprochen. Man hat demgemäß gefragt, wo die Seele ihren Sitz habe. Als einen Sitz habend ist aber die Seele im Raum und wird sinnlich vorgestellt. Ebenso gehört es zur Auffassung der Seele als eines Dinges, wenn danach gefragt wird, ob dieselbe einfach oder zusammengesetzt ist. Diese Frage interessierte besonders in Beziehung auf die Unsterblichkeit der Seele, insofern dieselbe als durch die Einfachheit der Seele bedingt betrachtet wurde. Nun aber ist in der Tat die abstrakte Einfachheit eine Bestimmung, die dem Wesen der Seele so wenig entspricht als die der Zusammengesetztheit. Was das Verhältnis der rationellen zur empirischen Psychologie anbetrifft, so steht die erstere dadurch höher als die letztere, daß sie es sich zur Aufgabe macht, den Geist durch das Denken zu erkennen und das Gedachte auch zu beweisen, während die empirische Psychologie von der Wahrnehmung ausgeht und nur aufzählt und beschreibt, was diese an die Hand gibt. Allein wenn man den Geist denken will, so muß man gegen seine Besonderheiten gar nicht so spröde sein. Der Geist ist Tätigkeit in dem Sinn, in welchem schon die Scholastiker von Gott sagten, er sei absolute Aktuosität. Indem nun aber der Geist tätig ist, so liegt darin, daß er sich äußert. Man hat deshalb den Geist nicht als ein prozeßloses ens zu betrachten, wie solches in der alten Metaphysik geschehen, welche die prozeßlose Innerlichkeit des Geistes von seiner Äußerlichkeit trennte. Der Geist ist wesentlich in seiner konkreten Wirklichkeit, in seiner Energie zu betrachten, und zwar so, daß die Äußerungen derselben als durch seine Innerlichkeit bestimmt erkannt werden.
§ 35
Der dritte Teil, die Kosmologie, handelte von der Welt, ihrer Zufälligkeit, Nothwendigkeit, Ewigkeit, Begrenztseyn in Raum und Zeit, den formellen Gesetzen in ihren Veränderungen, ferner von der Freiheit des Menschen und dem Ursprunge des Bösen.
Als absolute Gegensätze gelten hierbei vornehmlich: Zufälligkeit und Nothwendigkeit; äußerliche und innerliche Nothwendigkeit; wirkende und Endursachen, oder die Kausalität überhaupt und Zweck; Wesen oder Substanz und Erscheinung; Form und Materie; Freiheit und Nothwendigkeit; Glückseligkeit und Schmerz; Gutes und Böses.
Zusatz. Die Kosmologie hatte sowohl die Natur als auch den Geist in seinen äußerlichen Verwicklungen, in seiner Erscheinung, also überhaupt das Daseyn, den Inbegriff des Endlichen zum Gegenstand. Dieselbe betrachtete aber diesen ihren Gegenstand nicht als ein konkretes Ganzes, sondern nur nach abstrakten Bestimmungen. So wurden z. B. hier die Fragen verhandelt, ob Zufall in der Welt herrsche oder Nothwendigkeit, ob die Welt ewig sei oder erschaffen. Ein Hauptinteresse dieser Disziplin bildete demnächst die Aufstellung sogenannter allgemeiner kosmologischer Gesetze, wie z. B. dies, daß es in der Natur keinen Sprung gebe. Sprung heißt hier soviel als qualitativer Unterschied und qualitative Veränderung, welche als unvermittelt erscheinen, während dagegen das (quantitative) Allmähliche sich als ein Vermitteltes darstellt. In Beziehung auf den Geist, wie solcher in der Welt erscheint, waren es dann vornehmlich die Fragen nach der Freiheit des Menschen und nach dem Ursprung des Bösen, welche in der Kosmologie verhandelt wurden. Dies sind nun allerdings Fragen von höchstem Interesse. Um dieselben jedoch auf eine genügende Weise zu beantworten, dazu gehört vor allen Dingen, daß man die abstrakten Verstandesbestimmungen nicht als ein Letztes festhält, in dem Sinn, als ob jede der beiden Bestimmungen eines Gegensatzes für sich ein Bestehen hätte und in ihrer Isolierung ein Substantielles und Wahrhaftes zu betrachten wäre. Dies war jedoch der Standpunkt der alten Metaphysik, wie überhaupt auch bei den kosmologischen Erörterungen, welche um deswillen ihrem Zweck, die Erscheinungen der Welt zu begreifen, nicht zu entsprechen vermochten. So wurde z. B. der Unterschied von Freiheit und Nothwendigkeit in Betrachtung gezogen und wurden diese Bestimmungen in der Art auf die Natur und auf den Geist angewendet, daß man jene in ihren Wirkungen als der Nothwendigkeit unterworfen, diesen aber als frei betrachtete. Dieser Unterschied ist nun allerdings wesentlich und im Innersten des Geistes selbst begründet; Freiheit jedoch und Nothwendigkeit, als einander abstrakt gegenüberstehend, gehören nur der Endlichkeit an und gelten nur auf ihrem Boden. Eine Freiheit, die keine Nothwendigkeit in sich hätte, und eine bloße Nothwendigkeit ohne Freiheit, dies sind abstrakte und somit unwahre Bestimmungen. Die Freiheit ist wesentlich konkret, auf ewige Weise in sich bestimmt und somit zugleich nothwendig. Wenn von Nothwendigkeit gesprochen wird, so pflegt man darunter zunächst nur Determination von außen zu verstehen, wie z. B. in der endlichen Mechanik ein Körper sich nur bewegt, wenn er durch einen anderen Körper gestoßen wird, und zwar in der Richtung, welche ihm durch diesen Stoß erteilt wird. Dies ist jedoch eine bloß äußerliche Nothwendigkeit, nicht die wahrhaft innere, denn diese ist die Freiheit. - Ebenso verhält es sich mit dem Gegensatz des Guten und Bösen, diesem Gegensatz der in sich vertieften modernen Welt. Betrachten wir das Böse als ein Festes für sich, das nicht das Gute ist, so ist dies insofern ganz richtig und der Gegensatz anzuerkennen, als dessen Scheinbarkeit und Relativität nicht so genommen werden darf, als seien Böses und Gutes im Absoluten eins, wie man denn wohl neuerdings gesagt hat, böse werde etwas erst durch unsere Ansicht. Das Falsche aber ist, daß man das Böse als ein festes Positives ansieht, während es das Negative ist, welches kein Bestehen für sich hat, sondern nur für sich sein will und in der Tat nur der absolute Schein der Negativität in sich ist.
§ 36
Der vierte Teil, die natürliche oder rationelle Theologie, betrachtete den Begriff Gottes oder dessen Möglichkeit, die Beweise von seinem Daseyn und seine Eigenschaften.
a) Bei dieser verständigen Betrachtung Gottes kommt es vornehmlich darauf an, welche Prädikate zu dem passen oder nicht passen, was wir uns unter Gott vorstellen. Der Gegensatz von Realität und Negation kommt hier als absolut vor; daher bleibt für den Begriff, wie ihn der Verstand nimmt, am Ende nur die leere Abstraktion des unbestimmten Wesens, der reinen Realität oder Positivität, das tote Produkt der modernen Aufklärung. b) Das Beweisen des endlichen Erkennens zeigt überhaupt die verkehrte Stellung, daß ein objektiver Grund von Gottes Seyn angegeben werden soll, welches somit sich als ein durch ein anderes Vermitteltes darstellt. Dies Beweisen, das die Verstandesidentität zur Regel hat, ist von der Schwierigkeit befangen, den Übergang vom Endlichen zum Unendlichen zu machen. So konnte es entweder Gott von der positiv bleibenden Endlichkeit der daseyenden Welt nicht befreien, so daß er sich als die unmittelbare Substanz derselben bestimmen mußte (Pantheismus), - oder er blieb als ein Objekt dem Subjekt gegenüber, somit auf diese Weise ein Endliches (Dualismus). c) Die Eigenschaften, da sie doch bestimmte und verschiedene sein sollen, sind eigentlich in dem abstrakten Begriffe der reinen Realität, des unbestimmten Wesens untergegangen. Insofern aber noch die endliche Welt als ein wahres Seyn und Gott ihr gegenüber in der Vorstellung bleibt, so stellt sich auch die Vorstellung verschiedener Verhältnisse desselben zu jener ein, welche, als Eigenschaften bestimmt, einerseits als Verhältnisse zu endlichen Zuständen selbst endlicher Art (z. B. gerecht, gütig, mächtig, weise usf.) sein müssen, andererseits aber zugleich unendlich sein sollen. Dieser Widerspruch läßt auf diesem Standpunkte nur die nebulose Auflösung durch quantitative Steigerung zu, sie ins Bestimmungslose, in den sensum eminentiorem zu treiben. Hierdurch aber wird die Eigenschaft in der Tat zunichte gemacht und ihr bloß ein Name gelassen.
Zusatz. Es war in diesem Teil der alten Metaphysik darum zu tun, festzustellen, wie weit es die Vernunft für sich in der Erkenntnis Gottes bringen könne. Gott zu erkennen durch Vernunft ist nun allerdings die höchste Aufgabe der Wissenschaft. Die Religion enthält zunächst Vorstellungen von Gott; diese Vorstellungen, wie solche im Glaubensbekenntnis zusammengestellt sind, werden uns von Jugend auf als Lehren der Religion mitgeteilt, und insofern das Individuum an diese Lehren glaubt und sie ihm die Wahrheit sind, so hat es, was es als Christ braucht. Die Theologie aber ist die Wissenschaft dieses Glaubens. Gibt die Theologie bloß eine äußerliche Aufzählung und Zusammenstellung der Religionslehren, so ist sie noch nicht Wissenschaft. Auch durch die heutzutage so beliebte bloß historische Behandlung ihres Gegenstandes (wie z. B. dadurch, daß erzählt wird, was dieser und jener Kirchenvater gesagt hat) erhält die Theologie noch nicht den Charakter der Wissenschaftlichkeit. Dies geschieht erst dadurch, daß zum begreifenden Denken fortgeschritten wird, welches das Geschäft der Philosophie ist. Die wahrhafte Theologie ist so wesentlich zugleich Religionsphilosophie, und dies war sie auch im Mittelalter. Was dann näher die rationelle Theologie der alten Metaphysik anbetrifft, so war dieselbe nicht Vernunftwissenschaft, sondern Verstandeswissenschaft von Gott, und ihr Denken bewegte sich in abstrakten Gedankenbestimmungen. - Indem hier der Begriff Gottes abgehandelt wurde, so war es die Vorstellung von Gott, welche den Maßstab für die Erkenntnis bildete. Das Denken aber hat sich frei in sich zu bewegen, wobei jedoch sogleich zu bemerken ist, daß das Resultat des freien Denkens mit dem Inhalt der christlichen Religion übereinstimmt, da diese Offenbarung der Vernunft ist. Zu solcher Übereinstimmung kam es indes nicht bei jener rationellen Theologie. Indem diese sich daran begab, die Vorstellung von Gott durch das Denken zu bestimmen, so ergab sich als Begriff Gottes nur das Abstraktum von Positivität oder Realität überhaupt, mit Ausschluß der Negation, und Gott wurde demgemäß definiert als das allerrealste Wesen. Nun aber ist leicht einzusehen, daß dieses allerrealste Wesen dadurch, daß die Negation von demselben ausgeschlossen wird, gerade das Gegenteil von dem ist, was es sein soll und was der Verstand an ihm zu haben meint. Anstatt das Reichste und schlechthin Erfüllte zu sein, ist dasselbe, um seiner abstrakten Auffassung willen, vielmehr das Allerärmste und schlechthin Leere. Das Gemüt verlangt mit Recht einen konkreten Inhalt; ein solcher aber ist nur dadurch vorhanden, daß er die Bestimmtheit, d. h. die Negation in sich enthält. Wird der Begriff Gottes bloß als der des abstrakten oder allerrealsten Wesens aufgefaßt, so wird Gott dadurch für uns zu einem bloßen Jenseits, und von einer Erkenntnis desselben kann dann weiter nicht die Rede sein; denn wo keine Bestimmtheit ist, da ist auch keine Erkenntnis möglich. Das reine Licht ist die reine Finsternis. Das zweite Interesse dieser rationellen Theologie betraf die Beweise vom Daseyn Gottes. Die Hauptsache dabei ist, daß das Beweisen, wie dasselbe vom Verstand genommen wird, Abhängigkeit einer Bestimmung von einer anderen ist. Man hat bei diesem Beweisen ein Vorausgesetztes, ein Festes, aus dem ein Anderes folgt. Es wird hier also die Abhängigkeit einer Bestimmung von einer Voraussetzung aufgezeigt. Soll nun das Daseyn Gottes auf diese Weise bewiesen werden, so erhält dies den Sinn, daß das Seyn Gottes von anderen Bestimmungen abhängen soll, daß diese also den Grund vom Seyn Gottes ausmachen. Hier sieht man denn sogleich, daß etwas Schiefes herauskommen muß, denn Gott soll gerade schlechthin der Grund von Allem und hiermit nicht abhängig von Anderem sein. Man hat in dieser Beziehung in der neueren Zeit gesagt, Gottes Daseyn sei nicht zu beweisen, sondern müsse unmittelbar erkannt werden. Die Vernunft versteht indes unter Beweisen etwas ganz anderes als der Verstand, und auch der gesunde Sinn tut dies. Das Beweisen der Vernunft hat zwar auch zu seinem Ausgangspunkt ein Anderes als Gott, allein es läßt in seinem Fortgang dies Andere nicht als ein Unmittelbares und Seyendes, sondern indem es dasselbe als ein Vermitteltes und Gesetztes aufzeigt, so ergibt sich dadurch zugleich, daß Gott als der die Vermittlung in sich aufgehoben Enthaltende, wahrhaft Unmittelbare, Ursprüngliche und auf sich Beruhende zu betrachten ist. - Sagt man: "betrachtet die Natur, sie wird euch auf Gott führen, ihr werdet einen absoluten Endzweck finden", so ist damit nicht gemeint, daß Gott ein Vermitteltes sei, sondern daß nur wir den Gang machen von einem Anderen zu Gott, in der Art, daß Gott als die Folge zugleich der absolute Grund jenes Ersten ist, daß also die Stellung sich verkehrt und dasjenige, was als Folge erscheint, sich auch als Grund zeigt, und was erst als Grund sich darstellte, zur Folge herabgesetzt wird. Dies ist dann auch der Gang des vernünftigen Beweisens. Werfen wir nach der bisher angestellten Erörterung noch ein Blick auf das Verfahren dieser Metaphysik überhaupt, so ergibt sich uns, wie dasselbe darin bestand, daß sie die Vernunftgegenstände in abstrakte, endliche Verstandesbestimmungen faßte und die abstrakte Identität zum Prinzip machte. Diese Verstandesunendlichkeit aber, dies reine Wesen, ist selbst nur ein Endliches, denn die Besonderheit ist davon ausgeschlossen, beschränkt und negiert dieselbe. Diese Metaphysik, anstatt zur konkreten Identität zu kommen, beharrte auf der abstrakten; aber ihr Gutes war das Bewußtseyn, daß der Gedanke allein die Wesenheit des Seyenden sei. Den Stoff zu dieser Metaphysik gaben die früheren Philosophen und namentlich die Scholastiker. In der spekulativ Philosophie ist der Verstand zwar ein Moment, aber ein Moment, bei welchem nicht stehengeblieben wird. Platon ist kein solcher Metaphysiker und Aristoteles noch weniger, obgleich man gewöhnlich das Gegenteil glaubt. ...”
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