Der Kaiser ist die Göttlichkeit, das göttliche Wesen, das Innere und Allgemeine, wie es zur Einzelheit des Individuums herausgetreten, geoffenbart und da ist. Dieses Individuum ist die zur Einzelheit vollendete Bestimmung der Macht, das Herabsteigen der Idee zur Gegenwart, aber so, daß es der Verlust ihrer in sich seienden Allgemeinheit, der Wahrheit, des Anundfürsichseins und somit der Göttlichkeit ist. Das Allgemeine ist entflohen und das Unendliche so in das Endliche eingebildet, daß das Endliche das Subjekt des Satzes, das bleibende Feste und nicht negativ im Unendlichen gesetzt ist.
Diese Vollendung der Endlichkeit ist nun zunächst das absolute Unglück und der absolute Schmerz des Geistes; sie ist der höchste Gegensatz desselben in sich, und dieser Gegensatz ist unversöhnt, dieser Widerspruch unaufgelöst. Der Geist aber ist denkend, und wenn er sich nun in diese Reflexion-in-sich als Äußerlichkeit verloren hat, so tritt er als denkend in diesem Verlust seiner selbst zugleich in sich zurück, ist er in sich reflektiert und hat er sich in seiner Tiefe als unendliche Form, als Subjektivität, aber als denkende, nicht als unmittelbare, auf die Spitze gestellt. In dieser abstrakten Form tritt er als Philosophie auf oder überhaupt als der Schmerz der Tugend, als Verlangen und Greifen nach Hilfe.
Die Auflösung und Versöhnung des Gegensatzes ist das allgemeine Bedürfnis, und möglich ist sie nur dadurch, daß diese äußerliche, losgelassene Endlichkeit in die unendliche Allgemeinheit des Denkens aufgenommen, dadurch von ihrer Unmittelbarkeit gereinigt und zu substantiellem Gelten erhoben werde. Umgekehrt muß diese unendliche Allgemeinheit des Denkens, das ohne äußerliche Existenz und ohne Geltung ist, gegenwärtige Wirklichkeit erhalten und das Selbstbewußtsein somit zum Bewußtsein der Wirklichkeit der Allgemeinheit kommen, so daß es das Göttliche als daseiend, als weltlich, als in der Welt gegenwärtig vor sich habe und Gott und die Welt versöhnt wisse.
Der Olymp, dieser Götterhimmel und dieser Kreis der schönsten Gestaltungen, die je von der Phantasie gebildet worden sind, hatte sich uns zugleich als freies, sittliches Leben, als freier, aber noch beschränkter Volksgeist gezeigt. Das griechische Leben ist in viele kleine Staaten zersplittert, in diese Sterne, die selbst nur beschränkte Lichtpunkte sind. Damit die freie Geistigkeit erreicht werde, muß nun diese Beschränktheit aufgehoben werden und das Fatum, das über der griechischen Götterwelt und über diesem Volksleben in der Ferne schwebt, an ihnen sich geltend machen, so daß die Geister dieser freien Völker zugrunde gehen. Der freie Geist muß sich als den reinen Geist an und für sich erfassen: es soll nicht mehr bloß der freie Geist der Griechen, der Bürger dieses und jenes Staates gelten, sondern der Mensch muß als Mensch frei gewußt werden, und Gott ist der Gott aller Menschen, der umfassende, allgemeine Geist. Dieses Fatum nun, welches die Zucht über die besonderen Freiheiten ist und die beschränkten Volksgeister unterdrückt, so daß die Völker den Göttern abtrünnig werden und zum Bewußtsein ihrer Schwäche und Ohnmacht kommen, indem ihr politisches Leben von der einen, allgemeinen Macht vernichtet wird, - dieses Fatum war die römische Welt und ihre Religion. Der Zweck in dieser Religion der Zweckmäßigkeit ist kein anderer als der römische Staat gewesen, so daß dieser die abstrakte Macht über die anderen Volksgeister ist. Im römischen Pantheon werden die Götter aller Völker versammelt und vernichten einander dadurch gegenseitig, daß sie vereinigt werden. Der römische Geist als dieses Fatum hat jenes Glück und die Heiterkeit des schönen Lebens und Bewußtseins der vorhergehenden Religionen vernichtet und alle Gestaltungen zur Einheit und Gleichheit herabgedrückt. Diese abstrakte Macht war es, die ungeheures Unglück und einen allgemeinen Schmerz hervorgebracht hat, einen Schmerz, der die Geburtswehe der Religion der Wahrheit sein sollte. Die Unterschiede von freien Menschen und Sklaven verschwinden durch die Allmacht des Kaisers; innerlich und äußerlich ist aller Bestand zerstört, und ein Tod der Endlichkeit eingetreten, indem die Fortuna des einen Reiches selbst auch unterliegt.
Die wahrhafte Aufnahme der Endlichkeit in das Allgemeine und die Anschauung dieser Einheit konnte sich nicht innerhalb dieser Religionen entwickeln, nicht in der römischen und griechischen Welt entstehen. Die Buße der Welt, das Abtun der Endlichkeit und die im Geiste der Welt überhandnehmende Verzweiflung, in der Zeitlichkeit und Endlichkeit Befriedigung zu finden, - das alles diente zur Bereitung des Bodens für die wahrhafte, geistige Religion, einer Bereitung, die von seiten des Menschen vollbracht werden mußte, damit "die Zeit erfüllet werde". Wenn schon das Prinzip des Denkens sich entwickelt hatte, so war das Allgemeine doch noch nicht in seiner Reinheit Gegenstand des Bewußtseins, wie selbst im philosophischen Denken die Verbindung mit der gemeinen Äußerlichkeit sich zeigte, wenn die Stoiker die Welt aus dem Feuer entstehen ließen. Vielmehr konnte nur in einem Volke die Versöhnung hervortreten, welches die ganz abstrakte Anschauung des Einen für sich besaß und die Endlichkeit völlig von sich geworfen hatte, um sie gereinigt in sich wieder fassen zu können. Das orientalische Prinzip der reinen Abstraktion mußte sich mit der Endlichkeit und Einzelheit des Abendlandes vereinigen. Das jüdische Volk ist es, das sich Gott als den alten Schmerz der Welt aufbewahrt hat. Denn hier ist die Religion des abstrakten Schmerzens, des einen Herrn, gegen und in dessen Abstraktion sich deswegen die Wirklichkeit des Lebens als der unendliche Eigensinn des Selbstbewußtseins erhält und zugleich in die Abstraktion zusammengebunden ist. Der alte Fluch hat sich gelöst, und ihm ist Heil widerfahren, eben indem die Endlichkeit ihrerseits sich zum Positiven und zur unendlichen Endlichkeit erhoben und geltend gemacht hat.
(HEGEL: Vorlesungen über die Philosophie der Religion / 3. Der Kultus)
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