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                                                                                                                                manfred herok    2014


René Descartes - Discours de la méthode pour bien conduire sa raison, et chercher la verité dans les sciences. *
Leyden 1637

(Ausführungen über die Methode seine Vernunft gut zu gebrauchen und die Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen.)

Übersetzung von Hans-Heinrich Fortmann



Vierter Teil

1. Ich weiß nicht, ob ich Sie mit den ersten Meditationen unterhalten soll, die ich hier unternahm; denn sie sind so metaphysisch und so ungewöhnlich, daß sie vielleicht nicht nach dem Geschmack aller sein werden. Und dennoch, damit man beurteilen kann, ob die Fundamente, die ich gewählt habe, fest genug sind, finde ich mich in gewisser Weise gedrängt, davon zu reden. Schon seit langem hatte ich bemerkt, daß es, was die Gewohnheiten anbelangt, nötig ist, manchmal Meinungen, von denen man weiß, daß sie sehr unsicher sind, so zu folgen, als wären sie nicht zweifelhaft, wie dies bereits (3. Teil, 3. Absatz) gesagt worden ist; aber, weil ich damals nur der Suche nach der Wahrheit nachgehen wollte, dachte ich, es sei nötig, daß ich das völlige Gegenteil täte und alles das als völlig falsch zurückwiese, wovon ich mir nur den geringsten Zweifel einbilden [imaginer] könnte, um zu sehen, ob nicht danach irgendetwas in meiner Überzeugung zurückbliebe, was völlig unbezweifelbar wäre. Daher, weil unsere Sinne uns manchmal täuschen, wollte ich unterstellen [supposer], daß es keine Sache gäbe, die so wäre, wie sie sie uns einbilden [imaginer] lassen. Und weil es Menschen gibt, die sich beim Nachdenken vertun, sogar wenn sie die einfachsten Stoffe der Geometrie berühren, und in ihnen zu Fehlschlüssen kommen, schloß ich, daß ich genauso so dem Fehler [faillir] unterworfen wäre, wie jeder andere, und ich wies alle Begründungen als falsch zurück, die ich vorher für Beweise gehalten hatte. Und schließlich, im Erwägen, daß genau die gleichen Gedanken, die wir haben, wenn wir wach sind, uns auch kommen können, wenn wir schlafen, ohne daß es auch nur eine davon gäbe, zu der Zeit, die wahr wäre, entschloß ich vorzugeben [feindre], daß alle die Dinge, die mir jemals eingefallen sind [entrées en l'esprit] nicht wahrer wären als die Trugbilder meiner Träume. Aber sofort [aussitôt après] fiel mir auf, daß, während ich so zu denken versuchte, daß alles falsch wäre, es doch notwendigerweise zutraf, daß ich, der es dachte, etwas sei. Und feststellend, daß diese Wahrheit "ich denke, also bin ich" [je pense, donc je suis] so fest und gesichert sei, daß alle die ausgefallensten Unterstellungen der Skeptiker nicht fähig seien, sie zu erschüttern, so urteilte ich, daß ich sie annehmen könne, und zwar ohne Gewissensbisse, als den ersten Grundsatz der Philosophie, den ich suchte.

2. Dann, mit Aufmerksamkeit untersuchend, was ich denn wäre, und beobachtend, daß ich mir einbilden könnte, daß ich keinen Körper hätte und daß es keine Welt gäbe, noch einen Ort, wo ich wäre, aber daß ich deswegen nicht vorgeben könnte, daß ich selbst nicht wäre; ganz im Gegenteil, aus dem sogar, daß ich an der Wahrheit der anderen Dinge zu zweifeln dachte, folgte sehr offensichtlich [évidemment] und sicher, daß ich sei; dagegen, sobald ich nur aufgehört hätte zu denken, selbst wenn alles übrige, was ich mir jemals vorgestellt habe, wahr gewesen wäre, hätte ich doch keinen Grund mehr zu der Überzeugung, daß ich gewesen sei: Ich erkannte daraus, daß ich eine Substanz bin, deren ganzes Wesen oder deren Natur nichts ist, außer zu denken, und die, um zu sein, keinen Ort braucht, noch von irgendeiner materiellen Sache abhängt. So daß dieses Ich, das heißt die Seele, durch die ich das bin, was ich bin, völlig verschieden ist vom Körper, ja daß sie sogar leichter zu erkennen ist als er, und daß, selbst wenn er überhaupt nicht wäre, sie nicht aufhörte alles das, was sie ist, zu sein.

3. Danach überlegte ich im allgemeinen, was für eine Aussage erforderlich ist, um wahr und sicher; [certaine] zu sein; denn, weil ich ich ja gerade eine von ihnen gefunden hatte, von der ich wußte, daß sie von dieser Beschaffenheit ist, dachte ich, daß ich ebenfalls wissen sollte, worin diese Gewißheit besteht. Und beobachtet habend, daß es in dem: "Ich denke, also bin ich" überhaupt nichts gibt, was mir versichert, daß ich die Wahrheit sage, außer daß ich sehr deutlich sehe, daß man, um zu denken, sein muß: Ich urteilte daher, daß ich als allgemeine Regel annehmen könne, daß die Dinge, die wir sehr deutlich und sehr unterschieden [fort clairement et fort distinctement] begreifen, alle wahr sind; daß aber nur eine gewisse Schwierigkeit besteht, richtig festzustellen, welche es sind, die wir deutlich [distinctement] begreifen.

4. Sodann, nachdenkend darüber, daß ich zweifelte und daß, folglich, mein Wesen nicht ganz vollkommen wäre, - denn ich sah klar, daß es eine größere Vollkommenheit ist zu wissen als zu zweifeln - wies ich mich anzu suchen, von wo ich gelernt hatte, an etwas Vollkommeneres zu denken, als ich selbst war; und ich erkannte als offensichtlich, daß das von einer Natur [nature] kommen müßte, die in der Tat [en effet] vollkommener war. Was die Gedanken anbelangt, die ich von mehreren anderen Dingen außer mir hatte, wie vom Himmel, von der Erde, vom Licht, von der Wärme und von tausend anderen, war ich bei ihnen nicht so in Verlegenheit zu wissen, woher sie kamen, denn, nichts in ihnen bemerkend, was sie mir vortrefflicher als mich zu machen schien, konnte ich glauben, daß sie, wenn sie wahr wären, von meiner Natur abhingen, insofern diese eine gewisse Vollkommenheit hatte; und wenn sie es nicht wären, daß ich sie dem Nichts verdanke, das heißt, daß sie in mir sind, weil ich einen Mangel habe. Aber das konnte mit der Idee von eines vollkommeneren Wesens als des meinen nicht sein: denn sie dem Nichts erhalten, das war eine offensichtlich unmögliche Sache; und da es nicht weniger Widerstreben gibt, daß das Vollkommenere eine Folge und Abhängigkeit des weniger Vollkommenen sei, als wenn aus nichts irgendetwas hervorgeht, konnte ich sie auch nicht mehr von mir selbst erhalten. Auf welche Weise übrigblieb, daß sie in mich von einer Natur gepflanzt worden ist, die in Wahrheit vollkommener ist als ich, und die sogar in sich alle die Vollkommenheiten hat, von denen ich eine Idee haben konnte, das heißt, um mich mit einem Worte auszudrücken, die Gott ist. Dem füge ich hinzu, daß ich, weil ich ja einige Vollkommenheiten kannte, die ich selbst überhaupt nicht besaß, nicht das einzige Wesen war, das existierte (ich werde, mit Ihrer Erlaubnis, hier frei die scholastischen Begriffe benutzen), sondern daß es so sein mußte, aus Notwendigkeit, daß es noch ein anderes Vollkommeneres geben muß, von dem ich abhänge, und von dem ich alles das empfangen habe, was ich hatte. Denn wenn ich allein und unabhängig von allem anderen gewesen wäre, in der Art, daß ich das bißchen das ich an dem vollkommenen Wesen teilnehme, von mir selbst gehabt hätte, so hätte ich von mir, aus demselben Grunde, auch alles das Zusätzliche hätte haben können, von dem ich wußte, daß es mir fehlte, und hätte so selbst unendlich, ewig, unveränderlich, allwissend, allmächtig sein und schließlich alle die Vollkommenheiten besitzen können, von denen ich bemerken konnte, daszlig; sie in Gott sind. Denn, den Überlegungen folgend, die ich gerade angestellt habe, brauchte ich, um die Natur Gottes zu erkennen, soweit meine Natur dazu fähig wäre, mir von allem, wovon ich in mir eine Idee fände, nur zu überlegen, ob es eine Vollkommenheit wäre, es zu besitzen, und ich war sicher, daß keine von denen, die eine Unvollkommenheit darstellten, in ihm waren, aber daß alle anderen dort waren. Denn ich sah, daß Zweifel, Unbeständigkeit, Traurigkeit und ähnliche Dinge dort nicht sein konnten, in Anbetracht, daß ich selbst erleichtert gewesen wäre, davon ausgenommen zu sein. Sodann, außerdem, hatte ich Ideen von mehreren tastbaren und körperlichen Dingen, denn wenn ich auch unterstellte, ich träumte und alles das, was ich sah oder mir bildlich vorstellte, wäre falsch, konnte ich dennoch nicht leugnen, daß die Vorstellungen davon wahrhaftig in meinem Denken vorhanden waren; aber weil ich schon in mir selbst ganz klar erkannt hatte, daß die geistige Natur von der körperlichen unterschieden ist, bedenkend, daß jedes Zusammensetzung von Abhängigkeit zeugt und daß die Abhängigkeit offenbar ein Mangel ist, urteilte ich, daß es in Gott keine Vollkommenheit sein könne, aus diesen zwei Naturen zusammengesetzt zu sein, und daß er es folglich auch nicht wäre; daß aber, wenn es gewisse Körper auf der Welt gäbe, oder auch irgendwelche geistige Wesen, oder andere Naturen, die nicht ganz vollkommen wären, ihr Sein insofern von seiner Macht abhängen müßte, daß sie ohne ihn nicht einen einzigen Moment bestehen könnten.

5. Ich wollte danach nach anderen Wahrheiten suchen, und mir den Gegenstand der Geometer vornehmend, den ich mir als einen kontinuierlichen Körper dachte oder als einen in Länge, Breite und Höhe oder Tiefe unbegrenzt ausgedehnten Raum, teilbar in unterschiedliche Abschnitte, die verschiedene Formen und Größen haben können und in jeder Art verschoben oder gespiegelt werden können - denn die Geometer setzen alles dies in ihrem Gegenstand voraus -, durchlief ich einige ihrer einfachsten Beweise. Und, wahrgenommen habend, daß jene große Sicherheit, die alle Welt ihnen beilegt, nur darauf gegründet ist, daß man sie offensichtlich wahrnimmt (conçoit évidemment), bemerkte ich, der von mir bereits angegebenen Regel folgend, daß es in ihnen überhaupt nichts gibt, das mir das Dasein (existence) ihres Gegenstands (objet) versichern könnte. Denn, zum Beispiel, sah ich gut, daß bei einem angenommenen Dreieck dessen drei Winkel zwei rechten gleich sein müßten; aber ich sah nicht daraus, was mir hätte versichern können, daß es auf der Welt überhaupt ein Dreieck gebe. Stattdessen fand ich, zum Betrachten der Idee zurückkehrend, die ich von einem vollkommenen Sein (être parfait) hatte, daß die Existenz darin inbegriffen war, in der gleichen Art, wie es in der Idee des Dreiecks inbegriffen ist, daß seine drei Winkel zwei rechten Winkeln gleich sind, oder in der Idee einer Kugeloberfläche (sphère), daß alle ihre Teile gleich weit von ihrem Mittelpunkt entfernt sind, oder sogar noch einleuchtender (évidemment); und daß; in der Folge (par conséquent), es zumindest genauso gewiß ist, daß Gott, der dieses vollkommene Sein ist, ist oder existiert, wie irgendeine Beweisführung der Geometrie gewiß sein könnte.

6. Aber was bewirkt, daß es viele gibt, die sich dazu anzunehmen verleiten, es gebe Schwierigkeiten, ihn zu erkennen, und sogar auch das zu kennen, was ihre eigene Seele sei, das kommt daher, daß sie ihren Geist niemals über die fühlbaren Dinge erheben und daß sie derart daran gewöhnt sind, nichts außer der Vorstellung zuzugestehen, was eine für die materiellen Dinge eigentümliche Weise des Denkens ist, daß alles das, was nicht vorstellbar (imaginable) ist, ihnen nicht denkbar (intelligible) erscheint. Dieses wird darin genügend nachweisbar, daß sogar die Philosophen es als Leitsatz annehmen, in den Schulen, daß es nichts im Verstand gebe, was nicht zuerst in den Sinnen gewesen sei, wo jedenfalls, soviel ist sicher, die Ideen von Gott und von der Seele nie gewesen sind. Und es scheint mir, daß die, die von ihrer Vorstellung Gebrauch machen wollen, um sie zu verstehen, ebenso vorgehen, als wollten sie, um die Töne zu hören oder Gerüche zu spüren, sich ihrer Augen bedienen: als wenn es nicht noch den Unterschied gäbe, daß der Gesichtssinn uns nicht weniger von der Wahrheit dieser Gegenstände versicherte, als dies die Sinne des Geruchs oder des Gehörs tun; * statt daß weder unser Vorstellungsvermögen noch unsere Sinne uns jemals über eine Sache Sicherheit verschaffen könnten, wenn unser Verstand nicht eingreift.

7. Schließlich, wenn es noch Leute gibt, die nicht genügend überzeugt von der Existenz Gottes und ihrer Seele sind, durch die Gründe, die ich angeführt habe, so möchte ich, daß sie wissen, daß alle die anderen Dinge, von denen sie sich vielleicht gewisser zu sein glauben, wie einen Körper zu haben und daß es Sterne und eine Erde gibt und ähnliche Dinge, weniger sicher sind. Denn, obwohl man eine konventionelle Sicherheit (assurance morale) von diesen Dingen hat, die darin besteht, daß es scheint, daß man, ohne vom Üblichen abzuweichen (être extravagant), nicht daran zweifeln kann, dennoch kann man, wenn es eine Frage der metaphysischen Gewißheit ist, ohne unvernünftig zu sein, nicht leugnen, daß es nicht genügend Grund gibt, davon ganz überzeugt zu sein, wenn man in Betracht zieht, daß man sich, genauso, vorstellen kann, eingeschlafen, daß man einen anderen Körper hat und daß man andere Sterne sieht und eine andere Erde, ohne daß es davon etwas gäbe. Denn woher weiß man, daß die Gedanken, die im Traum kommen, eher falsch sind als die anderen, in Anbetracht, daß sie oft nicht weniger lebhaft und ausdrücklich sind? Und mögen sich die besten Geister daran üben, soviel es ihnen Freude bereite, ich glaube nicht, daß sie irgendeinen Grund angeben könnten, der ausreichend wäre, diesen Zweifel zu entfernen, wenn sie nicht die Existenz Gottes voraussetzen. Denn, zunächst, ist sogar jenes, was ich gerade als Regel angenommen habe, nämlich daß die Dinge, die wir klar und unterschieden wahrnehmen, alle wahr sind, nicht gesichtert, wenn nicht dadurch, daß Gott ist oder existiert und daß er ein vollkommenes Sein ist und daß alles, was in uns ist, von ihm kommt. Woraus folgt, daß unsere Ideen oder Begriffe, die wirkliche Gegenstände sind und die von Gott kommen, in allem soweit sie klar und unterschieden sind insoweit nicht anders als wahr sein können. Dergestalt, daß, wenn wir oft genug Ideen haben, die Falschheit enthalten, dies nur von solchen herrühren kann, die etwas Verworrenes oder Dunkles (confus et obscur) haben, weil sie in diesem am Nichts teilhaben, das heißt, weil sie in uns nur insofern verworren sind, weil wir nicht ganz vollkommen sind. Und es ist offensichtlich, daß es nicht weniger Widerspruch darin gibt, daß Falschheit oder Unvollkommenheit von Gott ausgehe, wie darin, daß die Wahrheit oder die Vollkommenheit aus dem Nichts hervorgehe. Aber wenn wir überhaupt nicht wüßten, daß alles das, was in uns an Wirklichem oder an Wahrem ist, von einem vollkommenen und unendlichen Sein herstammt - so klar und unterschieden unsere Ideen auch wären, wir hätten keinen Grund, der uns versicherte, daß sie die Vollkommenheit hätten, wahr zu sein.

8. So, nachdem das Wissen (connaissance) Gottes und der Seele uns über diese Regel sicher (certain) gemacht hat, ist es recht leicht zu erkennen, daß die Träume, die wir uns eingeschlafen einbildeten, uns auf keine Weise an der Wahrheit der Gedanken zweifeln lassen dürfen, die wir erwacht haben. Denn, wenn es vorkäme, sogar im Schlafen, daß man eine stark abgegrenzte (fort distincte) Idee hätte, wie, zum Beispiel, daß ein Geometer irgendeinen neuen Beweisführung erfände, sein Schlaf hinderte sie nicht, wahr zu sein. Und für den gewöhnlichsten Irrtum unserer Träume, der darin besteht, daß wir uns verschiedene Gegenstände in derselben Weise vorstellen, wie es unsere äußeren Sinne tun, kommt es nicht darauf an, daß er uns Gelegenheit gibt, der Wahrheit solcher Ideen zu widerstreben, weil sie uns auch oft genug täuschen können, ohne daß wir schlafen: Wie wenn die Gelbsüchtigen alle Farben gelb sehen oder wenn die Sterne oder andere weit entfernte Körper uns viel kleiner erscheinen, als sie sind. Denn schließlich, sei es daß wir wachen, sei es daß wir schlafen, wir dürfen uns niemals überzeugen lassen außer durch die Offensichtlichkeit unserer Vernunft (évidence de notre raison). Und es ist zu festzuhalten, daß ich sage, "unserer Vernunft", und keineswegs "unserer Vorstellung" oder "unserer Sinne" (de notre imagination ni de nos sens). Wie, selbst wenn wir die Sonne sehr klar sähen, wir nicht daraus schließen dürfen, daß sie nur die Größe hätte, in der wir sie sehen; und wir können uns wohl deutlich einen Löwenkopf auf dem Körper einer Ziege sitzend vorstellen, ohne daß es nötig wäre deshalb zu schließen, daß es auf der Welt eine Chimäre gäbe: Denn die Vernunft schreibt uns nicht vor, daß das, was wir sehen oder uns vorstellen deshalb wahrhaftig sei. Aber sie schreibt uns wohl vor, daß alle unsere Ideen oder Begriffe irgendeine Grundlage in der Wahrheit haben müssen; denn es wäre nicht möglich, daß Gott, der ganz vollkommen und ganz wahrhaft ist, sie ohne diese in uns gesetzt hätte. Und weil unsere Überlegungen nicht immer so offensichtlich und so vollständig sind während des Schlafs wie während des Wachens, obwohl manchmal unsere Vorstellungen dann ebenso lebendig oder noch lebendiger und ausdrücklich sein mögen, sagt unsere Vernunft uns auch, daß, obwohl unsere Gedanken nicht alle wahr sein können, aus dem Grund, daß wir nicht ganz vollkommen sind, sich aber das, was sie an Wahrheit haben, wirksam in den Gedanken antreffen lassen muß, die wir als Erwachte haben - eher als in unseren Träumen.
 


Hans-Heinrich Fortmann
Zur Übersetzung
Die Übersetzung folgt dem anonym erschienenen französischen Text von 1637 und der historisch-kritischen Gesamtausgabe von Adam und Tannery. Ich habe versucht, in der Übersetzung eine Terminologie zu verwenden, wie sie gewöhnlich in Übersetzungen scholastischer Texte verwendet wird (Platon, Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin im Hinterkopf), wobei eine ganze Reihe von Zweifelsfällen verbleiben: Ist zum Beispiel die angemessene Bedeutung von "être" Sein oder Wesen? Wird im Begriff "esprit" Geist, Intellekt, Vernunft oder doch nur Verstand gemeint?
In einigen interessanten Fällen habe ich den französischen Ausdruck in Klammern nachgestellt belassen. Die lateinische Übersetzung von 1644 konnte nur in Ausnahmefällen Entscheidungshilfe sein, da sie von Descartes zwar anerkannt wurde, aber nicht von ihm selbst stammt.
Die von mir eingesehenen vorhandenen Übersetzungen glätten Wortverwendung und Satzbau recht stark. Die vorliegende Übersetzung sollte auch unter Inkaufnahme von gewissen Härten im Ausdruck vor allem in der Abbildung der gedanklichen Struktur, wie sie sich nicht zuletzt auch im Satzbau zeigt, möglichst nahe am französischen Text bleiben, ohne immer nur die eine Konvention in die andere umzusetzen. Semantisch äußert sich der Versuch der Textnähe im Anstreben direkter Wortübersetzungen: "évidemment" wird so zum Beispiel nicht zu einem "deutlichem Begriff", sondern zu "offensichtlich". Insgesamt habe ich also möglichst wörtlich zu übersetzen versucht.


Zu 6.
- "sinon qu'il y a encore cette différence, que le sens de la vue ne nous assure pas moins de la vérité de ces objets, que font ceux de l'odorat ou de l'ouïe"
Lüder Gäbe (Descartes - Discours de la Méthode. Meiner, Hamburg 1960. S. 61) übersetzt: "wobei dieser Vergleich noch nicht einmal trifft, insofern als der Gesichtssinn uns ebenso der Wirklichkeit seiner Objekte versichert wie der Geruchssinn oder das Gehör," (Hervorhebung hier hinzugefügt)
Da aus Descartes anderweitigen Äußerungen aber gerade deutlich wird, daß die Sinneswahrnehmung keine Sicherheit der Erkenntnis zu bieten vermag, ist das "moins" sicher nicht zum Verb "assurer" zu ziehen (nicht weniger versichern), sondern als Nomen zu "de la vérité" (weniger von der Wahrheit): Der Gesichtssinn täuscht uns eher über das Vorhandensein von Sachen, die zu den Tönen oder Gerüchen gehören, als dies Geruch und Gehör tun.
Ein Vergleich anderer älterer Übersetzungen zeigt gegenseitige Übereinstimmung: J. H. von Kirchmann (René Descartes' philosophische Werke. Übersetzt, erläutert und mit einer Lebensbeschreibung des Descartes, Abteilung I-III, L. Heimann, Berlin 1870) übersetzt in dem nicht haltbaren Sinne; auch Hermann Glockner (Descartes - Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs. Reclam, Stuttgart 1961. S. 36) übersetzt nach Kuno Fischer ähnlich wie Gäbe, setzt aber hinzu, daß es sich um subjektive Wahrheit handle.
Quelle

 

Quelltext:

G.W.F. Hegel
-  Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie

Zweiter Abschnitt: Periode des denkenden Verstandes.
Erstes Kapitel: Periode der Metaphysik.
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