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§ 48. Erläuterung des Entzweiungsprozesses in Gott und Natur nach Jakob Böhme
Wir kehren jetzt wieder zur Selbstbeschaulichkeit zurück, um von ihr aus die Genesis der ewigen Natur zu sehen, die Jakob Böhme, sich der Ausdrücke der Bibel bedienend, von der Selbstbeschaulichkeit, der Weisheit, die er das ewigsprechende Wort nennt, das der Vater im Sohne ausspricht, als das ausgesprochene geformte, kompaktierte Wort, aber ebenso von der Natur, d. i. der anfänglichen, zeitlichen Natur, darinnen die Kreation dieser Welt lieget, unterscheidet. (»Gnadenwahl«, c. 1, 30)
Der ungründliche Wille in der Selbstbeschaulichkeit oder in dem Spiegel der Weisheit, in der alle Farben, Tugenden und Kräfte inneliegen, aber nicht sustantialisch, selbständig, sondern geistig, sich selbst beschauend, wird dadurch begehrender Wille, Begierde. Der ungründliche Wille oder der Wille schlechtweg ist eben, weil er »dünne, wie ein Nichts« (»Von der Menschwerdung Christi«, [T. II.] c. 1, § 9, c. 2, § 1) ist, an und für sich die Lust zur Offenbarung und damit »zu dem Verständnüs und Gestaltnüs« der in ihm liegenden Farben, Kräfte, Tugenden und Wesen; diese Offenbarungslust und liebe, diese Negativität gleichsam des Willens gegen sich selbst als Wille, da er als dieser dünne Wille wie ein Nichts ist, wird zur Begierde1), indem er im Spiegel der Weisheit schaut, was er ist, er wird nach sich selbst, denn er hat kein andres Objekt als sich, lüstern und begierig; d. i., in und mit der Selbstbeschaulichkeit erwacht der Trieb zur Ich- und Selbstheit, die Begierde nach Selbstoffenbarung, nach Selbstunterscheidung, nach bestimmter Selbsterkenntnis. Der Wille nämlich modelt, indem und wenn er sich selbst beschaut, von sich selbst gleichsam bezaubert und eingenommen, sich in sich ein, er imprimiert durch die Imagination in sich das Spiegelmodell von sich, und mit dieser Impression der Phantasie erwacht die Begierde, die Phantasie in wirkliche, bestimmte Figur, Gestalt und Wesenzu bringen, d. i. etwas zu sein, Selbst- und Ichheit anzunehmen.2) Wie aber auch im Menschen die Begierde eine Störung, Unterbrechung und Aufhebung der Stille und des Friedens, der Gleichheit und Einheit der Seele, eine Spaltung ist, so ist jene Begierde eine Abscheidung von dem gleichen, mit sich einigen Willen, eine Zertrennung desselben, ein Widerwille. Denn die Begierde ist einziehend, in sich hinein verzehrend, eine Negativität, eine Konzentration auf sich selbst, ein Zusammenziehen gleichsam aller im ungründlichen Willen enthaltenen Stoffe auf sich und dadurch eine Einfassung, eine Formung, Bestimmung und Sonderung der in dem ungründlichen Willen in gleichem Maße ohne Differenz und Bestimmung enthaltenen Farben, Tugenden und Kräfte. »Die Begierde lüstert aus einem in viel und führet viel in eines. Mit der Begierde wird Wesen gesucht, und im Wesen zündet die Begierde das Feuer an.« (»Sechs [mystische] Punkte«, III, § 18) Diese Begierde, diese Subjektivität, dieser Geist der Separation und Differenz oder dieser separatistische, partikularisierende Geist, dieser Geist der Ichheit, der Sichselbst Bespiegelung, des Etwas-sein-Wollens ist die ewige Natur in Gott, das Prinzip, der Grund der Natur, als in welcher die in Gott geistig, unwesenhaft und eben darum unterschied- und gestaltlos enthaltnen Dinge oder Wesen in Sonderung, Unterschied, Eigenhaftigkeit, Ichheit und Selbständigkeit treten. Die Begierde, die ewige Natur, ist eine Finsternis in Gott, eine Verdunkelung in dem hellen, durch keinen Unterschied unterbrochnen, gleichen Spiegel oder Wesen der Gottheit; denn indem der Wille begehrender, Begierde ist und wird, so wird er, der als Wille dünne wie das Nichts ist, verdichtet, beschattet, da die Begierde als eine Zusammenziehung, Sammlung auf sich und eben als diese eine Verdichtung, ein Undurchsichtigmachen, gleichsam ein dunkler Kern ist. »Das Gute oder Licht ist als ein Nichts. So aber etwas darein kommt, so ist dasselbe Etwas ein anders als das Nichts, dann das Etwas wohnet in sich, in Qual, dann wo etwas ist, da muß ein Qual sein, die das Etwas macht und hält. Das Etwas ist finster und verfinstert des Lebens Licht, und das Eine ist Licht.« (»Sechs [mystische] Punkte«, III, § 6, 8) Das Nichts oder der Ungrund, vorgestellt vor der Begierde, abstrahiert von ihr, ist zwar noch nicht Licht; denn Licht wird er oder ist er erst im Unterschiede von der Finsternis; aber er ist doch als das durch keinen Unterschied getrübte und unterbrochne Gleiche und Eine das dem Gedanken nach Helle und Durchsichtige oder an sich Licht, das zu bestimmtem, wirklichem Licht wird, indem sich der Wille zur Begierde verdichtet und verdunkelt. An dem Widerwillen, an der Finsternis wird daher jetzt erst Gott als Gott offenbar und sich selbst wahrhaft empfindlich und erkenntlich. »So sprichst du, so ist die Finsternüs eine Ursach der Gottheit? Nein, aber Gott wäre nicht offenbar und wäre keine Natur noch Kreatur ohne die Finsternüs.« (»Zweite Apologie wider B. Tilken«, § 145) Jetzt wird Gott erst im Lichte und als Licht offenbar. Denn das ewige einige Gut, die lautere Liebe und Freiheit, wird durch den Gegensatz der Finsternis der Begierde, der ewigen Natur, in der die Wurzel alles Lebens und Wesens, aber auch alles Leids, Wehes und Widerstreites ruht, offenbar als das himmlischmilde Licht, als das absolut Gute, es wird erst jetzt fühlbar als die wohltuende, besänftigende, liebevolle Güte; die von aller Selbst- und Ichheit freie Einheit des Ungrundes ist erst, aus dem Grunde der dunkeln Begierde wieder aus- und in sich ein- und zurückgehend, als Einheit und Freiheit sich offenbar; im lautern Selbstgenusse, in der bestimmten Erkenntnis und dem bestimmten Bewußtsein ihrer selbst, in dem sie sich nur als Gutes erkennt, sich unterscheidend von der ewigen Natur, in der Gutes und Böses, Ja und Nein, Wohl und Wehe inneliegt. Gott heißt daher auch nach Jakob Böhme nur Gott, soviel als er Licht ist, er heißt nur sozusagen nach seiner Lichtseite, in der Majestät und Herrlichkeit des Lichtes Gott. Gott weiß und will nur sich selbst, das Gute; indem aber das Gute sich nur offenbar ist als das Gute, das Gute die bestimmte Selbsterkenntnis seiner nur an seinem Gegensatze hat, so ist mit der Selbsterkenntnis des Guten zugleich die Erkenntnis des Guten und Bösen, ein unendlicher Scheidungsprozeß verbunden. Aber diese Erkenntnis des Guten und Bösen, dieser Scheidungsprozeß ist in Gott NichtGott, ist der Unterschied von Gott in Gott, und diesem nach heißt er nicht Gott, sondern die ewige Natur, die die natura naturans, das principium der Natur in Gott ist und daher von Gott als Gott, wie er nur Gott aus sich gebiert, das unanfängliche principium seiner selbst ist, unterschieden ist. Jakob Böhme vergleicht den ewigen Prozeß der immanenten Selbstoffenbarung Gottes, indem Gott die Natur in sich gebiert und aus dieser sich selbst zum bewußten Geiste herausgebiert, mit dem Prozeß des Feuers. Das Feuer als das Verzehrende stellt vor das principium der Trennung, Entzweiung, des Fürsichseins, der Negativität in Gott, die Begierde, die ewige Natur; das Licht, das aus dem Feuer herausscheint, sich lieblich und milde ausbreitet und mitteilt, stellt das Prinzip der Positivität vor, die ewige Einheit und Freiheit, die aus dem Feuer der Natur, in das die Begierde es einschloß, sich wieder frei und los macht und in diesem Freiwerden, in dieser Scheidung von dem Feuer als Licht offenbar wird. »Wie wir in der Feuersanzündung zwei Wesen verstehen, als eines im Feuer und das ander im Licht, und also zwei Principia, also ist uns auch von Gott zu verstehen. Das Feuer deutet uns an in seiner Peinlichkeit die Natur in der Scienz3), und das Licht deutet uns an das göttliche Liebefeuer, denn das Licht ist auch ein Feuer, aber ein gebendes Feuer, denn es gibet sich selber in alle Dinge, und in seinem Geben ist Leben und Wesen. Im Feuer ist der Tod. Als das ewige Nichts erstirbet im Feuer, und aus dem Sterben kommt das heilige Leben, nicht daß es ein Sterben sei, sondern also urständet das LiebeLeben aus der Peinlichkeit. Das Nichts oder die Einheit nimmt also ein ewig Leben in sich, daß es fühlende sei, und gehet aber wieder aus dem Feuer aus als ein Nichts, wie wir denn sehen, daß das Licht vom Feuer ausscheint und doch als ein Nichts, als nur eine liebliche, gebende, würkende Kraft ist. Also verstehet (in der Scheidung der Scienz, da sich Feuer und Licht scheidet) mit dem Feuer die ewige Natur. Darinnen spricht Gott, daß er ein zorniger, eifriger Gott und ein verzehrend Feuer sei, welches nicht der heilige Gott genannt wird, sondern sein Eifer als eine Verzehrlichkeit dessen, was die Begierde in die Schiedlichkeit in der Scienz in sich fasset.« (»Gnadenwahl«, c. 2, § 35, 33)
Gott führet seinen Willen darumb in eine Scienz (Begierde) zur Natur ein, damit seine Kraft in Licht und Majestät offenbar und ein Freudenreich werde; denn wenn in dem ewigen Einen keine Natur entstünde, so wäre alles stille, aber die Natur führet sich in Peinlichkeit, Empfindlichkeit und Findlichkeit ein, auf daß die ewige Stille beweglich werde und die Kräften zum Wort lautbar werden. (»Gnadenwahl«, c. 2, § 16)
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1) »Das Nichts ist eine Sucht nach etwas.« (»Vom ird. u. himml. Mysterio«, I)
2) In der Tat: Die Imagination, die Einbildungskraft ist das Schöpfungsprinzip bei Jakob Böhme, wie subjektiv, so objektiv; nicht aus dem bloßen Willen oder Denken, aus dem Schacht der Einbildungskraft leitet er alle Dinge ab. »Der Hauptbegriff in dem System Jakob Böhmes«, sagt Oettinger (Schwedenborgs »Auserl. Schriften« IV. T., 1776, p. 32), »ist der, der allen Philosophen fehlt, nämlich das ens penetrabile, das nicht materiell und auch nicht pur geistlich ist, sondern indifferent zum Geist und zur Materie.« Dieses ens penetrabile ist aber nichts andres als eben das vergegenständlichte Wesen der Einbildungskraft, die »nicht materiell und auch nicht pur geistlich ist«. Eine handgreifliche Veranschaulichung und Personifikation von dem innersten Wesen Jakob Böhmes haben wir an dem, was er über die Engel sagt. Der Engel ist nichts andres als das personifizierte Urbild oder Wesen des Menschen, der göttliche Mensch. »Ein Engel hat keine Därmen, darzu auch weder Fleisch noch Bein, sondern er ist von der göttlichen Kraft zusammengefügt auf Form und Art gleich einem Menschen, auch mit allen Gliedern wie ein Mensch, aber die Geburtsglieder und auch keinen Ausgang von unten hat er nicht, er bedarf es auch nicht.« (»Aurora«, c. 6, § 10) »Gleichwohl ißt der Engel mit dem Maul«, d.h. zum Schein. Er ist ein Scheinwesen, körperlich und unkörperlich, ein Wesen der Phantasie. Und dieses unsinnlich sinnliche, immateriell materielle Wesen, welches eben das Wesen der Phantasie, ist überhaupt das göttliche Wesen, das Wesen Jakob Böhmes.
3) Unter Scienz versteht Jakob Böhme »nicht Wissenschaft, sondern ein ziehe Ens, eine herbe ziehende Eigenschaft«. Sie ist daher eins mit der Begierde.
Ludwig Feuerbach Geschichte der neueren Philosophie(von Bacon bis Spinoza) 1833)
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