Allgemeiner Standpunkt der Scholastiker überhaupt
Wir haben nach diesen Spezialien ein Urteil über die Scholastiker, eine Rechenschaft von ihnen zu geben. Sie untersuchten so hohe Gegenstände, Religion; das Denken wurde so spitzfindig ausgebildet; es gab edle, tiefsinnige Individuen, Gelehrte. Und doch ist dies Ganze eine ganz barbarische Philosophie des Verstandes, ohne realen Stoff, Inhalt; es erregt uns kein wahrhaftes Interesse, und wir können nicht dahin zurückkehren. Es ist Form, leerer Verstand, der sich in grundlosen Verbindungen von Kategorien, Verstandesbestimmungen herumtreibt. Das intellektuelle Reich ist droben - so nicht bei den Neuplatonikern -, ausstaffiert mit sinnlichen Verhältnissen (schon Vater, Sohn), Engeln, Heiligen, Märtyrern, statt der Gedanken; die Gedanken sind stroherne Verstandesmetaphysik. Wozu alles dieses? Es liegt hinter uns als Vergangenheit, es muß uns für sich unbrauchbar bleiben.
Es hilft nichts, das Mittelalter eine barbarische Zeit zu nennen. Es ist eine eigentümliche Art der Barbarei, nicht der unbefangenen, rohen, sondern die höchste Idee und die höchste Bildung zur Barbarei geworden; was eben die gräßlichste Gestalt der Barbarei und Verkehrung ist, die absolute Idee, und zwar durchs Denken, zu verkehren. Wir sehen göttliche Welt, äußerlich, obzwar in der Vorstellung, trockenen, leeren Verstand; dadurch wird jene göttliche Welt, obgleich ihrer Natur nach das rein Spekulative, doch verständigt, versinnlicht, - nicht wie Kunst, sondern im Gegenteil als Verhältnis der gemeinen Wirklichkeit. Die Scholastik ist die gänzliche Verwirrung des Verstandes in dem Knorren der nordisch-germanischen Natur. Wir haben zweierlei Welten: ein Reich des Lebens, ein Reich des Todes. Die göttliche Welt war für die Einbildungskraft, Andacht bevölkert durch Engel, Heilige, Märtyrer, in der übersinnlichen Welt war keine Natur, keine Wirklichkeit des denkenden, allgemeinen, vernünftigen Selbstbewußtseins. In der unmittelbaren Welt, sinnlichen Natur war keine Göttlichkeit, weil sie nur das Grab des Gottes, wie der Gott außer jener. Zum göttlichen Reich, von Verstorbenen bewohnt, war nur durch den Tod zu gelangen; die natürliche Welt war ebenso tot, - belebt nur durch den Schein jener und die Hoffnung, hatte sie keine Gegenwart. Es half nicht, Mittelwesen als ein Band einzuschieben, Maria, die Heiligen, Verstorbenen in einer jenseitigen Welt. Die Versöhnung war formell, nicht an und für sich, nur Sehnsucht des Menschen, - Befriedigung nur in einer anderen Welt.
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